Ist es Liebe auf den ersten Blick oder eine besondere Erfahrung, die einen Ort attraktiv macht? Oder ist es eine Art von Magie? Betrifft KINDER hörte sich um und erfuhr, dass manche Orte viele Geschichten beherbergen.
Mittendrin
Es zieht mich aus dem Bett. Ich muss mich beeilen, denn sie wartet nicht auf mich. Über dem Horizont des Meeres, den ich von meiner Veranda sehen kann, verändern sich die Farben: rosa, hellblau und orange. Das tun sie schon seit mehreren Stunden. Doch gleich ist es soweit. Kaffee kochen, in meine Thermostasse füllen und meine Radtasche packen. Dann fahre ich im Kreisverkehr geradeaus auf dem Weg am Wasser durch Mückenschwärme, beunruhige ein paar Kaninchen, trete fest in die Pedale, um auf dem Sandweg nicht umzukippen und rechtzeitig auf meinem Steg anzukommen. Es ist 5.06 Uhr. Zu dieser Zeit ist der Steg noch »mein Steg«. Ich ziehe mich schnell aus. Klettere die Badeleiter herunter und versuche nicht darüber nachzudenken, ob das Wasser kalt ist. Ich lasse los. Ich tauche unter. Ich tauche auf und da ist sie: die Sonne! Mit ihrem glücklich machenden Leuchten geht sie genau in diesem Moment auf. Ich wache auf. Es gibt nur das Meer, die Wellen, den Horizont und einen Sonnenaufgang in Sandkås auf Bornholm. Ich bin mittendrin.
Johanna Pareigis ist Biologin und gründete »Die Bewegung LERNEN im Freien«.
»Ich bin total gern im Nadelwald, weil es da viele alte Bäume gibt, die auch umgekippt sind und auf denen man wippen und klettern kann.«
Tim, 5 Jahre
Gehen oder bleiben?
Es gibt Orte, an denen wir uns wohlfühlen, solche, die uns verzaubern oder schöne Erinnerungen in uns auslösen – und jene, in denen wir uns sicher fühlen. Ich hatte als kleines Kind einen Ort, den ich aufsuchte, wenn ich verzweifelt war. Gab es einen schlimmen Streit in meiner Familie, bei dem ich mich schuldig oder unverstanden fühlte, schlich ich zur Kellertreppe unseres Hauses, tastete mich hinab ins Dunkle zu einer Tür und fand dahinter in einem Kellerzimmer ein wackliges Holzregal. Wenn ich mich ganz klein machte, passte ich genau in eines seiner Fächer hinein. Von fünf Seiten geschützt, kauerte ich weinend und zitternd mit Gesicht und Vorderkörper nach außen hin und dachte mir, »hinten bin ich geschützt, vorne kann ich mich selbst verteidigen«, so wie ein kleines Tierchen im Versteck. Voller Leid und Weh schlief ich bald ein und erwachte später mit dem zufriedenen Gefühl, dass alles wieder gut ist. Ärger und Verzweiflung waren verraucht. Dieses Regal suchte ich in schweren Zeiten noch so lange auf, bis ich nicht mehr hineinpasste. Ich frage mich, wo ich heute in solchen Momenten hingehe, oder ob ich einfach dableibe.
Andreas Münzer ist Filmemacher und Fortbildner im Elementarbereich.
»Einer meiner Lieblingsorte ist mein Zimmer. Dort kann ich über alles selbst bestimmen und habe alles, was ich brauche. Ich liebe auch, auf meinen Lieblingsfelsen vor der alten Burgruine, von der aus man bis nach Schweden gucken kann, zu sitzen und dem Sonnenuntergang zuzusehen.«
Jonte, 19 Jahre
»Auf den Dreckberg!!!«
Vor gut zwei Jahren kam ich an einem großzügig ausgestatteten, aber komplett verwaisten Spielplatz vorbei. Das in der Luft liegende Kindergejohle war keine akustische Fata Morgana. Es kam von Kindern, die ein paar Schritte weiter mit einem Erdhaufen mehr Spaß hatten als mit wohldurchdachten Spielgeräten an dem für sie vorgesehenen Ort. »Das ist doch wieder mal typisch«, sinnierte ich damals laut zu meiner Begleitung und erzählte von meiner Tochter, die – egal zu welcher Jahreszeit – immer »auf den Dreckberg!« statt auf einen der ausgewiesenen Spielplätze wollte. Unser »Dreckberg« war der Erdaushub einer Baustelle, mit der es lange nicht voranging. Am Ende eines besonders matschigen Tages waren ihre Füße in den Gummistiefeln wie in Erde einbetoniert. Wir bekamen sie einfach nicht raus. Mit archäologischem Feingefühl, viel Geduld und einem Teelöffel pulten und schabten wir die festgestampfte Erde Bröckelchen für Bröckelchen aus den Stiefeln. Irgendwann waren ihre Füße frei und wir froh, dass die Gummistiefel dafür doch nicht aufgeschnitten werden mussten.
Jutta Gruber ist Journalistin und war Vorstandsmitglied im Bundesverband Natürlich Lernen e.V.
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03-04/2021 lesen.