Ein Betrifft KINDER-Gespräch
In ihren Stammgruppen treffen sich die Mädchen und Jungen zum Kinderparlament, bevor sie sich in die Räume ihrer Wahl zerstreuen, berichtete die Erzieherin Simone Nonnenbruch im vorangegangenen Heft. Kinderparlament – was steckt dahinter? »Kinderparlament ist wirklich kein passendes Wort«, räumte Simone Nonnenbruch damals ein. »Schließlich haben wir keine Abgeordneten in der Kita. Besser wäre Kinderkonferenz...« Wäre das Wort tatsächlich besser? Und was ist vom Morgenkreis zu halten? Über Demokratie und Partizipation im Kindergarten tauschten sich Kornelia Schneider, Erika Berthold und Norbert Huhn aus.
Erika Berthold: Frage ich nach, was im Kinderparlament passiert, erfahre ich: Da geht es um den Tagesplan, jedes Kind kann seine Vorschläge machen, ein Redestein wird weitergereicht, Sprachförderung wird ins Feld geführt. Was hat das mit Demokratie oder Partizipation zu tun? Außerdem: Die Machtverhältnisse in der Kita sind doch klar geregelt. Aber schon bei dem Wort »Macht« zucken viele Leute, die mit Kindern arbeiten, erschrocken zusammen. Dabei ist Macht erst mal nur Macht, also jenseits von Gut und Böse.
Kornelia Schneider: Je nachdem, wer das Sagen hat. In Neuseeland spricht man von voice: childrens voice, teachers voice und parents voice. Alle sollen eine Stimme haben, das Wort ergreifen dürfen. Das ist übrigens nicht in eine bestimmte Struktur eingepasst, die vorschreibt, dass man sich gesittet zu Wort meldet…
Norbert Huhn: Die Morgenrunde gibt es auch in Neuseeland.
Kornelia Schneider: Nein, sie haben dort eine gemeinsame Abschlussrunde und singen ein Lied, zu dem Bewegungen gehören.
Norbert Huhn: Die Morgenrunde ist nichts weiter als ein Strukturelement. Es geht um Organisation, um das In-den-Tag-Hineinkommen. Seltsam ist allerdings, so etwas mit Wörtern wie Partizipation zu verbinden. Gibt es in der Kita Funktionsräume, werden Morgenrunden gebraucht, weil die Kinder sich in die Räume verteilen und ihre blauen, grünen oder Foto-Kärtchen vorher abgeben müssen.
Kornelia Schneider: Das könnte man auch anders lösen. Zum Beispiel am Empfangstresen. Wenn es nur darum geht, die Verteilung zu regeln, muss man sich nicht in den Kreis setzen, denn das hat nichts damit zu tun, dass alle eine Stimme haben. Es ist eine reine Organisationssache.
Norbert Huhn: Mit dem Parlament oder Partizipation hat das Kärtchenverteilen auch nichts zu tun.
Erika Berthold: Und was ist mit Vorschläge-Einbringen? Im Morgenkreis? Am Empfangstresen? Oder wo?
Kornelia Schneider: Ich beschäftige mich ja mit den ganz kleinen Kindern. Daher weiß ich, dass all die schönen Sachen für den Kindergarten, die irgendwann fortschrittlich waren, also dass die Kinder entscheiden und die Räume frei wählen dürfen… Solche Kärtchen-Systeme wurden ausgedacht, damit wir Erwachsene den Jüngeren eine Stimme geben und gleichzeitig den Überblick behalten. Das mit Ein- oder Zweijährigen zu machen scheiterte natürlich. Daran kann man erkennen, dass es nichts mit Mitbestimmung zu tun hat.
Auch Kinder, die solche Regel-Systeme noch nicht beherrschen, müssen bestimmen können, was sie machen wollen. Wir Erwachsene haben die Aufgabe, herauszufinden, was das ist. Damit Kinder, die noch nicht sagen können, was sie möchten, zu ihrem Recht kommen, brauchen sie feinfühlige Erwachsene, die ihre Signale wahrnehmen und mitkriegen, was sie ausdrücken wollen. Mit Regelungen wie dem gemeinsamen Kreis klappt das nicht.
Erika Berthold: Du hast eben gesagt: Ein Kind muss bestimmen können. Äußerungen oder Gesten der Kleinen enthalten ja Bestimmungen: Ich will da hin. Oder: Ich will das haben. Was ist denn der Unterschied zwischen Bestimmen und Mitbestimmen? Mitbestimmen sagt doch, dass andere bestimmen, und ich darf auch was sagen. Wie bei dem Wort »mitkommen«. Jemand geht wohin, ich darf auch mitkommen. Die Wörter bringen uns auf die Spur: Wenn jemand mitbestimmen darf, dann bestimmt eigentlich ein anderer.
Kornelia Schneider: Das haben wir früher im Zusammenhang mit Elternmitbestimmung diskutiert. Wozu die Eltern etwas sagen durften, das war immer minimal. Außerdem hängt es von den Mehrheitsverhältnissen ab, ob das Gesagte dann überhaupt etwas bringt. Mache ich das mit Kindern so, lernen sie früh in ihrem Leben: Du kannst nur etwas erreichen, wenn du auf der Seite der Mehrheit oder der Bestimmer bist.
Erika Berthold: Demokratie heißt: Volksherrschaft. Hat gar nicht unbedingt was mit »der Mehrheit« zu tun. Zwar ist das Volk die Mehrheit…
Norbert Huhn: Die Gesamtheit.
Erika Berthold: Stimmt, auch die Mächtigen gehören dazu.
Norbert Huhn: Ja, die Beherrschten und die Herrscher. Es geht um die Frage: Wie organisiere ich die Gesellschaft?
Erika Berthold: Also geht es um Interessenvertretung. Alle Gruppen der Gesellschaft müssen ihre Interessen vertreten können.
Kornelia Schneider: Ja, und da kommen wir schnell zur Machtfrage.
Norbert Huhn: Mal ganz neutral betrachtet: Auch wenn Volksherrschaft proklamiert wird, kann einer das Sagen haben. Mao Tse-Tung hatte in China Einheitskleidung verordnet, um sein Verständnis von Volksherrschaft auszudrücken.
www.partizipation-und-bildung.de
Das Institut für Partizipation und Bildung sagt von sich, es lerne in Sachen Partizipation ständig weiter und strebe keine endgültige Begriffsbestimmung an. Sein Ziel ist die Förderung und Ausweitung der Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Dafür entwickeln, erproben, erforschen, vermitteln und verbreiten die Mitarbeiter geeignete Wege der demokratischen Beteiligung von Kindern und Jugendlichen.
www.kinderpolitik.de
Die Infostelle des Deutschen Kinderhilfswerks bietet Informationen zur Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und für sie – unter anderem im Bereich Kinderpolitik. Es gibt eine umfangreiche Methodensammlung, Best-Practice-Beispiele aus Projekten, die sich bewährt haben, kreativ und innovativ sind. Darüber hinaus wird im Rahmen der »Werkstatt für Demokratie« eine breite Palette von Weiterbildungsmaßnahmen offeriert.
www.dkhw.de
Das Netzwerk Kinder- und Jugendbeteiligung wurde 2008 auf Initiative des Deutschen Kinderhilfswerks gegründet und setzt sich für die Ausweitung der Mitwirkungsmöglichkeiten von Schülern ein. In einem Plädoyer mit dem Titel »Schule fürs Leben« engagiert sich das BundesNetzwerk dafür, neue Formen und Räume für mehr Information, Meinungsbildungsprozesse und Entscheidungsfindungen zu schaffen.
www.makista.de
Der Verein »Macht Kinder stark für Demokratie!« – kurz: Makista – will dazu beitragen, dass Kinder von klein auf Respekt erfahren und Demokratie leben lernen. Unter Demokratie versteht der Verein eine Lebensform, in der unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Kompetenzen gleichberechtigt, frei und solidarisch zusammenwirken. Makista möchte unter anderem dazu beitragen, dass Kinder ihre Rechte kennen – denn nur wer seine Rechte kennt und lebt, kennt und achtet auch die Rechte anderer Menschen.
www.degede.de
Die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik e.V. (DeGeDe) ist eine gemeinnützige Vereinigung, die sich für Demokratie im Bildungswesen engagiert. Ihre Aufgabe sieht sie in der Entwicklung demokratischer Handlungskompetenzen und in der Förderung demokratischer Organisationskulturen in schulischen und außerschulischen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen.
www.blk-demokratie.de
»Demokratie lernen & leben« war ein Schulentwicklungsprogramm, bei dem Bund und Länder zusammenwirkten. In 13 Bundesländern beteiligten sich insgesamt rund 200 allgemeinbildende und berufliche Schulen. Obwohl es das Programm nicht mehr gibt – alle Materialien und Medien sind auf der Seite verfügbar.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 08-09/13 lesen.