Naturgeschenke im Frühherbst
Der farbenfrohe Frühherbst beschenkt uns reichlich mit Gaben der Natur. Sie selbst anzubauen und zu ernten, lehrt uns, Lebensmittel wertzuschätzen und uns bewusst zu ernähren. Gärtnern wir gemeinsam, erleben wir zudem, miteinander zu teilen. Andreas Münzer führt seine Reise durch das Jahr weiter in die Zeit der Erntefeste der Kulturen.
Als Kind staunte ich über den weiten Weg einer Banane von ihrer Palme bis in meine Hände. Mit dem Finger folgte ich ihrer Route über das weite Meer auf meinem Leuchtglobus von Afrika bis zu mir und empfand, dass in der Welt, in der ich lebte, alles möglich ist. Vor 50 Jahren hat noch kaum jemand darüber nachgedacht, dass Raubbau an Ressourcen und Verschwendung von Energie das Gleichgewicht der Natur, welches sich über Jahrtausende eingependelt hat, zerstören wird. Heute sehe ich viele Kinder bereits im Kitaalter ein ökologisches Bewusstsein entwickeln. Sie lernen die Natur wertschätzen, indem sie selbst Nutzpflanzen anbauen und ernten und das Zusammenspiel zwischen dem Wetter, und der Pflanzen und Tierwelt miterleben. Im Frühherbst wird dies besonders offensichtlich.
Der geteilte Paradiesapfel
Es ist Anfang August und im Apfelbaum im Außengelände der Kölner Kita Sandweg hängen unzählige – noch unreife – Früchte. Die Kinder können es kaum erwarten, in einen reifen Apfel zu beißen, also beschließen sie, gemeinsam mit zwei Erwachsenen den nächsten Wochenmarkt zu besuchen. Am Obststand gibt es viele Apfelsorten zur Auswahl. Adelina ist begeistert und wünscht sich, alle Äpfel durchzuprobieren. Lars schlägt mit allgemeinem Einverständnis vor, von jeder Sorte den schönsten zu kaufen. Zurück in der Kita sortiert Mia die Äpfel nach Größe, Farbe und Gewicht.
Lars und die anderen Kinder beschäftigt ein lebenspraktisches Problem, denn jedes der 18 Kinder soll von jedem Apfel kosten können. »Wir teilen sie in 18 Stücke!«, einigen sie sich und jedes muss gleich groß sein. Die Frucht zu halbieren ist einfach, doch jede Hälfte in neun gleiche Stücke zu schneiden ist eine Kunst, die Augenmaß und Geschicklichkeit erfordern. Und dann überbieten sich die Kinder mit Sinneseindrücken: Süß, sauer, bitter, fruchtig – und immer lecker!
Im christlichen Volksglauben wird der Apfel mit der verführerischen Paradiesfrucht vom Baum der Erkenntnis in Verbindung gebracht, die den Sündenfall auslöst. Die alten Römer nannten ihn sogar »Malum«, das Böse. Falls er wirklich aus dem Paradies stammt, liegt dieses im heutigen Kasachstan, dem vermutlichen Ursprung des Apfels in seiner heutigen Form. Alma Ata, die größte Stadt dort, heißt auf Deutsch
»Apfel der Ahnen«. Unser ureigenes Obst ist also ein Migrant aus Asien und hat bei den hiesigen klimatisch günstigen Bedingungen seine neue Heimat gefunden.
Jeden Tag laufen die Kinder zum Kita- Baum, um zu sehen, ob die Äpfel bereits reif sind. Sie wissen, »Wenn wir unsere Äpfel ernten, kosten die nichts!« Dann erzählen sie sich, was man alles mit den Äpfeln machen könnte, außer sie einfach aufzuessen. Ihnen fällt viel ein: Apfelsaft und Apfelmus, Apfelkuchen und Apfelpfannkuchen, Bratapfel und Paradiesapfel. »Das wollen wir machen, wenn die Äpfel reif sind!«, freuen sie sich und Britta, die Erzieherin, besorgt bereits ein Apfelkochbuch. Das rheinische Traditionsgericht »Himmel und Ääd (Erde)« darf da nicht fehlen.
Mikail entdeckt einen ersten Apfel, der vom Stamm gefallen ist. »Der hat ja ein Loch!« »Da hat jemand reingepickt«, meint Laura. Mikail betrachtet das Loch genauer. »Da kommt ein Wurm raus!« Das kleine Tier windet sich aus der Frucht und die Kinder legen es im Garten unter einen Busch. Als sie den Apfel in Scheiben schneiden, sehen sie, dass der Wurm sich durch den ganzen Apfel gefressen hat, aber nicht durch das Kerngehäuse. »Der Wurm mag die Kerne nicht, so wie ich!«, meint Mia.
»Sind die überhaupt zu was gut?« »Daraus wird ein Baum«, erklärt Mikail, und erzählt, dass seine Großeltern alles über Obstbäume wissen, weil sie eine Streuobstwiese besitzen. Die Kinder können sich nicht vorstellen, wie aus einem winzigen Kern ein riesiger Baum entsteht. Die Kita ermöglicht den Kindern eine Expedition zur Obstwiese. Unter prächtigen Apfelbäumen wartet ein freundliches Ehepaar auf die Kinder, die sogleich ihre Kerne herzeigen.
Andreas Münzer ist Diplomgrafiker und Dokumentarfilmer u.a. für das Goethe Institut und seit 2004 gemeinsam mit Udel Best Fortbildner und Referent im Elementarbereich. Ein Schwerpunkt ist die Verknüpfung von naturwissenschaftlichen und religiösen Inhalten.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 07-08/19 lesen.