Ankommen im Gemeinschaftsgarten
Jeder Garten ist anders. Bei Gemeinschafts-, Willkommens- oder Nachbarschaftsgärten, Interkulturellen und Internationalen Gärten jedoch ist etwas gleich: Hier verbindet das Gärtnern Menschen mit und ohne Flucht- oder Migrationserfahrung, unterstützt sie beim Ankommen in einer neuen Heimat und schafft jede Menge Bewusstsein für ökologische Zusammenhänge und nachhaltige Lebensführung. Die Journalistin Jutta Gruber und der Dokumentarfilmer Andreas Münzer treffen kleine und große AkteurInnen dieser neuen Gartenbewegung.
»Wenn wir zu unseren Beeten im angrenzenden Gemeinschaftsgarten aufbrechen, ist das Geschrei groß. Alle wollen mit!« Marten Wolff ist Erzieher und verantwortlich für das Kita-Gartenprojekt in Greifswald. Gemeinsam bewirtschaften sie im Gemeinschaftsgarten einige Hochbeete, lernen dabei die Natur im Verlauf der Jahreszeiten kennen und erfahren, dass Pflanzen zum Wachsen Luft, Erde, Sonne und Wasser brauchen. »Obwohl die Beete nur vier Meter hinter dem Zaun unseres Außengeländes sind, ist jeder Ausflug dorthin für die Kinder ein Abenteuer.«
Ihre Eltern kommen u.a. aus dem Jemen, aus Syrien und Indien. »In diesem Jahr haben sie Mohrrüben, Zucchini, Radieschen, Kohlrabi und einen Kürbis angebaut. Das Gärtnern wird rasch zu einer gemeinsamen Sprache.« Bei jedem Gartenbesuch prüfen sie, ob die Erde in den Hochbeeten gegossen werden muss und ob der Kürbis wieder gewachsen ist: »Sie wollten, dass er riesengroß wird.« Dass sie ihn nie ernten konnten, weil er mitsamt der anderen Gemüse vielleicht von Wildschweinen gefressen wurde, schmerzte sie nicht lange, weil »auch Tiere im Gemeinschaftsgarten zu fressen bekommen sollen.« Im nächsten Jahr wollen sie vor allem eins anbauen: Kürbis – und zwar mehr als einen!
Therapie vor Ort
Unter dem Dach der Menschenskinder gGmbH in Berlin-Friedrichshain vereint sind seit ihrer Gründung 1996 ein Familienzentrum, eine Kita und ein interkultureller Nachbarschaftsgarten. Martina Peter arbeitet als Sozialpädagogin insbesondere mit den Eltern: »Viele von ihnen engagieren sich im Nachbarschaftsgarten, wenn ihre Kinder in der Kita sind und kommen sogar dann weiter, wenn ihre Kinder schon längst irgendwo anders zur Schule gehen.«
Während sich das Angebot des Greifswalder Gemeinschaftsgartens direkt an die Kinder wendet, sind sie hier einfach dabei. »Der Garten ist ein therapeutischer Ort für sich. Die Kinder erleben Erwachsene bei sinnvollen Tätigkeiten und nehmen Wissen übers naturnahe Gärtnern wie Muttermilch auf. Marlene z.B. hat sich immer sehr für die Pflanzenwelt interessiert. Sie kann alle Blumen benennen und beschreiben und führt BesucherInnen durch den Garten.«
Seinen Platz finden
Auch im benachbarten Stadtteil Kreuzberg führt ein Mädchen, die siebenjährige Elsa, leidenschaftlich gern Gäste durch den Interkulturellen Garten »Rosenduft«. Geflüchtete Familien aus dem ehemaligen Jugoslawien erhielten ihn 2006 zur gemeinsamen Nutzung. Auf der ehemaligen Brachfläche entstand, getragen vom Verein »südost Europa Kultur e.V.«, eine, nach jener im Balken hochgeschätzten Blüte benannte, kleine Oase im großen Berlin. Die AgraringenIeurin Begzada Alatovié war von Anfang an dabei. »Nachdem uns psychologische Begleitung einigermaßen wieder aufgerichtet hatte, kamen wir auf die Idee, dass in einem gemeinsamen Garten auch unsere Seelen heilen könnten. Die Familien holten dafür auf privaten Reisen neben Pflanzen und Samen sogar einige Zentner Muttererde aus ihrer alten Heimat.«
Zur Zeit gärtnern hier gut 40 Personen. Einige von ihnen sind »quasi bei uns im Garten geboren und aufgewachsen« oder, wie z.B. Elsa, aus der Nachbarschaft dazugekommen. Bereits seit zwei Jahren bewirtschaftet die Tochter spanischstämmiger Eltern ein Beet in Form eines Pizzastückes. Darauf baut sie Lieblingszutaten für ihre eigene Pizza an, die in einem von den GärtnerInnen selbst gebauten Ofen gebacken werden kann. Seit diesem Jahr geht Elsa zur Grundschule. Wer sie kennt, wundert sich nicht, dass sie wie einst ihre FreundInnen aus der Kita auch ihre SchulkameradInnen in den Garten eingeladen und ihr Beet gezeigt hat. Die ganze Klasse war derart begeistert, dass sie ab nächstem Jahr im »Pizzagarten« drei eigene Beete bewirtschaften darf. »Es ist spannend zu erleben, wie hier alle ihren Platz finden.«
Jutta Gruber arbeitet als freie Redakteurin bei verlag das vetz und ist Mitherausgeberin des Betrifft KINDER extra »Ankommen. Willkommenskultur in der Kita« von 2016. Andreas Münzer ist Dipl.-Designer, Fotograf, Dokumentarfilmer und Fortbildner. Seit 2018 spüren sie gemeinsam Impulsen für die Elementarpädagogik nach.
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Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe KINDER in Europa heute 03/20 lesen.