Ana Angélica Albano betrachtet die Sprachen der Künste und die Kunst, sie mit Kindern im Alltag zu leben.
Die Sprachen der Kunst
Ich war schon oft eingeladen, Vorträge für Erzieher und Lehrer für junge Kinder zu halten und Workshops für sie zu veranstalten. Das hat mich dazu geführt, mich auf die Konzepte zu konzentrieren, die diese Erzieher von Kindheit und Kunst haben – und von der Möglichkeit, die Herangehensweise ans Lernen zu verändern, indem die Poesie zu einem Teil der Kunsterziehung wird. Das ergab sich ganz allmählich aus meiner Überzeugung, dass Künstler und Dichter gerade all denen, die mit den jüngsten Kindern arbeiten, viel zu sagen haben. Sie bringen in die Bildung all das zurück, was das Kind noch nicht verloren hat: die Fähigkeit, sich gläserne Schlangen vorzustellen, die eine Kurve hinter dem Haus bilden…
Die Herangehensweise, für die sich der Erzieher entscheidet, ist viel wichtiger als die materiellen Ressourcen. Was die Praxis des Erziehers bestimmt, ist seine – oder ihre – »persönliche Ästhetik«, die nicht nur damit zu tun hat, was die Erzieherin selbst mag oder schätzt oder wovon sie glaubt, es sei schön, sondern es ist die Art und Weise, wie sie oder er Dinge tut. Jede Bewegung, Geste und Entscheidung ist an sich mit der Ästhetik des Menschen verbunden, der sein einzigartiges Zeichen wie einen Fingerabdruck auf allem hinterlässt, was er berührt. Im Unterschied zu einem Fingerabdruck jedoch, der immer bleibt wie er ist, kann die persönliche Ästhetik durch Bildung erweitert werden.
Wenn Erzieher an einem Kunstkurs teilnehmen, wünschen sie sich oft Tipps, die ihnen helfen, ihre Aktivitäten zu planen. Sie behandeln ihren Kindergarten, als wäre er ein Ort, an dem Rezepte konsumiert und nicht Wissen und Kenntnisse kreiert werden. Der erste Schritt ist daher, sie dazu zu bringen, zu verstehen, dass Kunst eine Sprache ist, eine Form der Kommunikation, die das ausspricht, was Worte nicht sagen können. Die Linien, Farben, Formen und die Beschaffenheit sind ein Alphabet, und zwar eines der ersten, die das Kind für seine Kommunikation nutzt. Wir können sogar sagen, dass dies das erste »Schreiben« des Kindes ist, denn jedes Kind zeichnet: mit dem Stift in der Hand, dem Stein auf der Erde, dem Pinsel auf Papier – das spielende Kind hinterlässt seine Zeichen, indem es Spiele erfindet und Geschichten erzählt. Wenn sie größer werden, sagen die meisten Kinder jedoch, sie könnten nicht zeichnen, sie beherrschten eine Sprache nicht, die in der frühen Kindheit so natürlich ist. Diese Sprache schwindet. Ist das ein unvermeidlicher Schritt in der Entwicklung?
Indem die Erzieherinnen ihrer eigenen ästhetischen Bildung nur wenig Aufmerksamkeit widmen, akzeptieren sie, dass das Zeichnen verloren geht oder anders: dass es nur für jene Menschen reserviert ist, die eine besondere Begabung haben. Sie glauben auch, dass die Kunst immer eine teure Aktivität ist, ein Luxus und keine Notwendigkeit. Folgen wir dem Gedicht von Manoel de Barros und fragen uns selbst: Nehmen die schmelzenden gläsernen Schlangen, wenn sie durch Bogen ersetzt werden und verschwinden, einen Teil der Welt der Phantasie mit, der so verschwindet?
Kunsterziehung
In der Kunsterziehung geht es nicht nur um eine Übertragung von Informationen, sie verlässt sich auch nicht auf Begabung. Sie erfordert vielmehr Wissen, geeignete Planung und Kohärenz. Sie muss alltägliche Erfahrung sein und nicht besonderen Tagen vorbehalten bleiben oder nur dann stattfinden, wenn gerade Zeit übrig ist. Sie erfordert Aufmerksamkeit für die intellektuelle und emotionale Entwicklungsstufe jedes Kindes, um geeignete Aktivitäten vorschlagen zu können.
In meinen Workshops erklären die Erzieherinnen, dass sie während ihrer bisherigen Ausbildung kaum Möglichkeiten hatten, ihre Ideen visuell auszudrücken. Sie erkennen das Bedürfnis nach einer großen Bandbreite von Erfahrungen mit verschiedenen Materialien und Techniken. Sie verstehen jedoch auch, dass eine Technik nur ein Mittel ist – und niemals Selbstzweck.
Die jugendliche Neugier beim Zeichensetzen rührt von dem Bedürfnis her, die Fähigkeit zu trainieren, etwas zu lernen, Entdeckungen Ausdruck zu verleihen und Geschichten zu erzählen. Kinder brauchen bedeutsame Erfahrungen – diese Erfahrungen sind viel wichtiger als Materialien und Techniken. Und es geht nicht nur um eine Vielzahl von Erfahrungen oder um immer wieder Neues, sondern um eine zusammenhängende Folge von Aktivitäten, die so präsentiert werden, dass die Kinder ihr Verständnis vertiefen und signifikantes Wissen aufbauen können. Der Reichtum der Bilder, der sich in Bildern und Zeichnungen ausdrückt, hängt von beidem ab, von der Quantität und Qualität der Erfahrungen, die die Kinder machen konnten, und ebenso von der Atmosphäre des Vertrauens und der Gemeinsamkeit mit den Erzieherinnen während der Aktivitäten.
Ein Besuch im Park, eine Geschichte oder ein Traum können zu einer Reihe von entsprechenden Aktivitäten führen. Auf einem Spaziergang können die Kinder die Farben, die Beschaffenheit, die Klänge und Gerüche der sie umgebenden Welt wahrnehmen und Muster sammeln. Die Materialien können in den Gruppenraum mitgenommen werden und ermöglichen den Kindern, ihre sensorischen Erfahrungen zu vertiefen, sich über ihre Beobachtungen auszutauschen und unterschiedliche (oder symbolische) Erzählungen zu erfinden. Später können sie ihre Entdeckungen weiterentwickeln, indem sie in Büchern nachlesen, Gedichte lesen, Geschichten erzählen und Filme sehen. Die Zeichnungen und Bilder, die in diesem Prozess entstehen, werden schließlich den Reichtum der Erfahrungen offenbaren, die die Kinder gemacht haben.
Aktivitäten zum Entdecken der Welt draußen – wie Spaziergänge im Park – sind ebenso wichtig wie die Aktivitäten, bei denen die innere Welt der Kinder erkundet wird – wie das Reden über einen Traum, das Erinnern eines besonderen Ereignisses, ein Gedicht oder eine Lieblingsgeschichte. Die Erzieherin muss sich der unterschiedlichen Perspektiven und Wünsche der Kinder bewusst sein und ihnen genau zuhören. Es spielt keine Rolle, ob die Zeichnungen schön sind oder nicht. Es zählt nur, dass sie eine Bedeutung haben, dass sie die Dimensionen und Farben aus dem Traum des Kindes, das sie gezeichnet hat, umwandeln und übertragen. Die Zeichnung ist ebenso wie die Poesie das Ergebnis einer besonderen Art, die Dinge zu sehen. Sie erfordert den Willen, sich auf die Erfahrung einzulassen, denn der Zauber der Kunst liegt darin, dass sie »zeigt, dass die Wirklichkeit verwandelt und beherrscht werden und zu einem Ding werden kann, mit dem man spielen kann«.
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