Eingewöhnung konsequent systemisch
»Wenn du es eilig hast, gehe langsam. Wenn du es noch eiliger hast, mache einen Umweg.« Wenn es um die Eingewöhnung in der Kita geht, nehmen die Fortbildnerinnen Sylvia Zöller und Petra Evanschitzky diese japanische Weisheit ernst. Mithilfe des systemischen Ansatzes können alle Beteiligten ihre Wege gehen – in ihrer jeweiligen Zeit.
Nora befindet sich mit ihrer Mutter bereits in der dritten Woche der Eingewöhnung. Während andere, kürzlich eingewöhnte Kinder längst mit anderen Kindern ins Spiel vertieft sind, orientiert sich Nora nach wie vor sehr stark an ihrer Mutter. Zwar bewegt sie sich von ihr weg und nimmt am Spiel der anderen Kinder teil, jedoch ist ihr Blick immer wieder zur Mutter gerichtet. Sie scheint sich vergewissern zu wollen, ob die Mutter noch da ist.
Noras Weg in die Kita
Um Noras Verhalten besser einordnen zu können, lohnt sich der Blick auf die Erfahrungen, die sie aus ihrer kurzen Biografie mitbringt. Nora war ein »Schreikind« und in ihrem ersten Lebensjahr fast nur mit ihrer Mutter zusammen. Sie kennt es nicht, für gewisse Zeit ohne ihre Mutter an anderen Orten zu sein. Und noch etwas scheint bedeutsam: Die Mutter ist in Rumänien groß geworden, ihre Familie lebt noch dort. In vielen Teilen Rumäniens ist es nicht üblich, Kinder außerhalb der Familie in eine Betreuungseinrichtung zu geben. Krippen und Kitas werden oft nur in Notsituationen genutzt. Meist bleiben die Kinder bis zu ihrem sechsten Lebensjahr zu Hause. Deshalb konnte die Mutter weder auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, noch konnten ihre Familienmitglieder mit Ratschlägen weiterhelfen.
Neben ihren eigenen Sorgen machte der Mutter die Normalitätserwartung seitens der Familie zu schaffen. Jeden Tag rief Noras Großmutter an, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen: »Na, wie läuft es in dieser Anstalt?« Noras Mutter musste nun schon seit drei Wochen antworten: »Nicht so gut.« Ratschläge und Mahnungen blieben nicht aus – welchem Druck war Noras Mutter hier ausgesetzt!
Signale der Familien verstehen
Die Pädagogin Katja hatte mitbekommen, dass Nora und ihre Mutter zusätzlich zu den üblichen Ablöseprozessen
mit weiteren Themen beschäftigt waren. Katja konnte bislang keine Signale be- obachten, von denen sich hätte ableiten lassen, dass Nora für ein erstes Verabschieden bereit wäre. Sie spürte, dass erst einmal Druck aus der Dynamik genommen werden musste. Katja teilte der Mutter ihre Beobachtungen mit, auch, dass sie glaubte, dass Nora noch eine Weile brauchen würde, bis sie bereit wäre, ihre Mutter gehen zu lassen. »Nora bekommt hier bei uns so viel Zeit, wie sie braucht, und wir begleiten sie dabei.« Dieser einfache Satz, die Zusicherung: »So lange, wie sie’s braucht«, war der Türöffner. Kein Vorwurf, kein verstecktes »Jetzt stellt euch nicht so an«, sondern das auf- richtige Versprechen, Mutter und Tochter bei ihrem Ankommen in der Krippe zu begleiten. Die Mutter erzählte nach Abschluss der Eingewöhnung, dass dieser Moment der Schlüssel zum Gelingen war.
Sylvia Zöller ist Pädagogin und Fort- und Weiterbildnerin zu Themen der frühen Kindheit. Sie begleitet und berät Träger, Kita-Teams sowie politische EntscheidungsträgerInnen vor allem konzeptionell im gesamten Spektrum rund um die frühkindliche Bildung und Entwicklung. Seit 2019 ist sie Hypnosystemische Coachin für Persönlichkeits-, Team- und Organisationsentwicklung (DBVC).
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Petra Evanschitzky begleitet mit der Praxiserfahrung einer Sozialpädagogin und dem Handwerkszeug als systemische Organisationsberaterin (SySt®) Kita-Teams und Entscheidungsträger in Fragen der Konzeptions-, Team- und Organisationsentwicklung.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/2022 lesen.