Kulturelle Bildung: Draußen und nachhaltig – das geht! Teil 5
Was ist aus pädagogischer Sicht das Ergebnis eines Lernprozesses? Was ist sein Ziel und wessen Ziel ist es überhaupt? Johanna Pareigis und Sylva Brit Jürgensen stellen in diesem Artikel die sichtbaren Ergebnisse des Kultur- & Naturprojektes »Baum Gestalten« vor – und denken über die unsichtbaren Ergebnisse von Lernprozessen nach.
Kein Kunstwerk, keine Kunst?
Wir machen uns ein Bild: Wir schießen ein Foto oder malen oder zeichnen, halten fest, was geschah. Wir sammeln Dinge, legen eine Sammlung, ein Magazin, ein Archiv, ein Museum an. Wir konstruieren, basteln und bauen, hinterlassen Spuren unseres Tuns. Wir notieren, schreiben auf, dokumentieren, präsentieren. Diese materiellen Zeugnisse gelten im allgemeinen Verständnis von Bildung, in Schule und Kindergarten sogar in der Kunst und kulturellen Bildung als klassische Belege erfolgreicher Lernprozesse, als Leistungsbeweise. Man stelle sich vor, Alexander von Humboldt hätte aus Südamerika nichts mitgebracht, in Teneriffa nichts gezeichnet und auf seinem Forschungsschiff nichts ins Reisetagebuch geschrieben ... Keine Beweise, keine Wissenschaft? Kein Kunstwerk, keine Kunst? Was beweist sonst, was wir verstanden und gelernt haben?
Was bleibt von den Baumbabys?
Die sichtbaren Ergebnisse unseres Kultur- & Naturprojekts »Baum Gestalten« sind lassen sich gut beschreiben. Die Kinder der zweiten Klasse der Grundschule Glücksburg hatten im März 2019 junge Baumsämlinge aus dem Wald mitgenommen und ihnen im Klassenzimmer vorübergehend ein neues Zuhause gegeben.1 Die geschmückten Töpfe auf der Fensterbank waren ein schöner und sichtbarer Beweis des Tuns der Kinder: Sie hatten gegraben, die Sämlinge nach der Kunst des Gärtnerns eingetopft, mit Blüten und Waldfundsachen wertschätzend und liebevoll geschmückt und vorsichtig ins Klassenzimmer getragen. Später durften die Töpfe draußen stehen und von dort wurden die Bäumchen – oder das, was von ihnen übrig war – im Sommer wieder abgeholt. Die Kinder merkten selbst: Einige Pflänzchen waren gewachsen, andere hingegen in Töpfen ohne Wasserablauf ertrunken. Manchmal ist kein Ergebnis auch ein Ergebnis. Das ausgebliebene Ergebnis irritiert, und genau diese Irritation fördert den Lernprozess und führt zur Erkenntnis.2
Manche Kinder erschienen unberührt,andere waren erschüttert. Niels legte später im Wald einen Friedhof für die Baumbabys an. Als ich ihn fragte, wie er auf die Idee gekommen sei, erzählte mir der junge Friedhofsgründer von seinem verstorbenen Opa. Nach solchen Ergebnissen müssen wir aktiv suchen, sie erfragen – sie befinden sich kurz hinter der Grenze der Sichtbarkeit. Aber die meisten Bäumchen konnten im Sommer lebend in den Wald zurückgebracht werden. Die Kinder hatten bereits einen großen Beschützerbaum für die Kleinen ausgewählt. Zur Begrüßung schrieben sie im Namen dieses großen Baums einen Willkommensbrief für die jungen Bäumchen inklusive des Versprechens, sich gut um sie zu kümmern. Wir hatten ihnen von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Kommunikation und Zusammenwirken der Bäume im Wald erzählt. Auf einer Waldlichtung wurde das neue Zuhause der Baumbabys vorbereitet: mit einem Haus, einem Gehege oder einer Schmuckkante. Die Bäumchen wurden gepflanzt und anschließend in einer Vernissage besucht und bestaunt.
Sind Artenkenntnisse abzählbar?
Eines unserer expliziten Lernziele war es, dass die Kinder jeden Tag eine Baumart kennenlernen sollten. Am Ende der fünf Projekttage sollten die Kinder fünf Bäume wiedererkennen, namentlich benennen, den Namen lesen und schrei- ben sowie begründen können, an welchen Kriterien sie diese Baumart identifiziert haben. Zusätzlich wollten wir ihnen die Bäume mit den Methoden der Kulturellen Bildung – Schreiben, Zeichnen, Gestaltung, Tanz und Theater – emotional näherbringen. Unser erklärtes Ziel war dabei die Überzeugung: zusammen mit den Kindern Wertschätzung für die Umwelt, hier für die Bäume wachsen zu lassen. Aktives Umwelthandeln entsteht nicht allein aus Wissen heraus, sondern erst, wenn Wissen mit Wertschätzung gepaart ist. Wie konnte nun das Erreichen dieser beiden unterschiedlichen Lernziele nachgewiesen werden?
Wir hatten die Kinder beobachtet, sie gefragt, mit ihnen gesprochen, ihnen zugehört und fachliche Inhalte wiederholt, sie zeichnen und malen, schreiben und Museen bauen lassen. Anders als von uns erwartet, hatten die Kinder schon am Anfang und ohne unsere Hilfe viele Blätter gesammelt und benannt. Ihr Vorwissen und ihre eigene Motivation waren groß. Sie liebten es, die Blätter zu zeichnen, und haben sie dabei selbstständig benannt.
Johanna Pareigis, ist promovierte Biologin, Gärtnerin, Pädagogin, Coach, Autorin und zertifiziert als Kulturvermittlerin sowie als NUN-Bildungspartnerin für Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Sie leitet Kinderprojekte und hält Vorträge und Fortbildungen. 2018 hat sie »Die Bewegung LERNEN im Freien« ins Leben gerufen.
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Sylva Brit Jürgensen ist Sonderschullehrerin, Spiel- und Theaterpädagogin, sys- temischer Coach, Mitbegründerin und Dozentin der NaturSpielpädagogik an der FH Kiel. Sie gibt Fortbildungen, hält Vorträge und schreibt Artikel über Nach- haltiges Lernen, BNE und Spielpädagogik. Sie gründet sie in Flensburg eine Freie Naturgrundschule und ist Mitglied der »Bewegung Lernen im Freien«.
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Das Projekt »Baum Gestalten« ist Teil des Programms »Schule trifft Kultur – Kultur trifft Schule« (https://kulturellebildung-sh.de/pro- jekte/projekte/121)
1 Vgl. Teil 1 der Reihe: »Ein guter Platz zum Wachsen« in Betrifft KINDER 03/04-20. Zusätzlich möchten wir anmerken, dass wir um eine kritische Betrachtungsweise dieser Aktion hinsichtlich Aspekten der Biologie und der Nach- haltigkeit wissen, sie aber für die positiven pädagogischen Aspekte bewusst in Kauf genommen genommen haben.
2 Zur Rolle der Irritation beim Lernen vgl. Teil 2 der Reihe: »Wo führt es hin, wenn wir rausgehen?« in Betrifft KINDER 05/06-20.
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03-04/2021 lesen.