Wie Empathie Kinder stark macht
Kinder lernen besser, wenn es uns gelingt, eine authentische und gleichwürdige Beziehung zu ihnen aufzubauen. Um Kontakt mit anderen zu etablieren, brauchen wir einen guten Kontakt mit uns selbst und die Bereitschaft, schwierige Situationen zu reflektieren. Jutta Gruber führt das Gespräch mit der dänischen Psychologin und Familientherapeutin Helle Jensen.
Eine Ihrer Publikationen trägt den vielversprechenden Titel »Vom Gehorsam zur Verantwortung: Für eine neue Erziehungskultur«. Darin appellieren Sie für eine gleichwürdige Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern. Was genau ist damit gemeint?
Der Begriff Gleichwürdigkeit soll daran erinnern, dass alle Menschen denselben Respekt verdienen und alle Ansichten, Bedürfnisse und Gefühle dieselbe Priorität haben. Verhalten und Gefühle dürfen von niemandem als kindisch, unrealistisch, erwachsen, reif, unreif, typisch weiblich oder männlich oder ähnliches disqualifiziert werden. Menschen sehen und annehmen wie sie sind, ist eine spannende Herausforderung.
Wie zeigen Kinder, dass sie sich nicht gesehen fühlen?
Manche rebellieren, um ihre Integrität und persönliche Grenze zu schützen. Andere ordnen sich unter oder werden still und zeigen nicht mehr, wie es ihnen geht. Diese Variante wird von der Umgebung weniger störend erlebt, ist aber für die Entwicklung des Kindes nicht weniger schlimm. Rebellierende Kinder bekommen zumindest irgendeine Art Aufmerksamkeit.
Was meinen Sie mit »irgendeine«?
Mit »irgendeine« meine ich, dass rebellierende Kinder nicht immer die Art und Weise von Aufmerksamkeit bekommen, die sie brauchen.
Im vergangenen Jahr erschreckten uns Bilder von der Besetzung der Treppe des Reichstags in Berlin und Anfang Januar von Menschen, die das Kapitol in Washington stürmten. Ein Vergleich mit rebellierenden Kindern drängt sich auf.
Dieser Vergleich stimmt nicht ganz. Er ist aber auch nicht ganz verkehrt. Zuerst habe ich über die Frage ein wenig gestaunt ..., aber es stimmt. Das Verhalten dieser Menschen ist dem von rebellierenden Kindern nicht unähnlich. Sie rebellieren, weil sie frustriert sind. Sie fühlen sich nicht gesehen, nicht gehört, nicht ernst genommen.
Dann ist das Gegenteil von Gehorsam also nicht Rebellion oder Ungehorsam, sondern Verantwortung?
Ja, auf jeden Fall. Bereits mit zwei Jahren beginnen Kinder, sich mit dem lebenslangen Konflikt zwischen Integrität und Kooperation auseinanderzusetzen. Interessanterweise ist Ungehorsam oft der erste Schritt eines Kindes in Richtung persönliche Integrität und innere Verantwortlichkeit. Es geht ihnen nicht darum, aktiv Erwachsenen ihre Macht zu nehmen, sondern – reaktiv – darum, intakt zu bleiben und die Authentizität und Integrität zurückzugewinnen, die erforderlich sind, um zur Beziehung zurückzukehren. Deshalb sollten wir aufhören, ungehorsame Kinder an unsere Erwartungen anzupassen, und anfangen, sie auf ihrem Weg zu einer Identität, deren Natur und Zielsetzung noch nicht bekannt sind, an die Hand zu nehmen. Wir sollten nie vergessen, dass Menschen, die gewalttätig vorgehen – ohne Empathie und Mitgefühl für andere –, meist selbst Gewalt erlebt haben.
Möglicherweise bereits im Kindesalter?
Sehr wahrscheinlich sogar. Kinder, deren Grenzen verletzt werden – z.B. wenn ihr Gefühl für Gerechtigkeit enttäuscht oder ihr Bedürfnis nach Geborgenheit nicht erfüllt wird –, verlieren den gesunden Kontakt mit sich selbst. Ihre Sensibilität verkümmert. Sie entfernen sich von sich selbst und fühlen weniger intensiv, wie weh es tut, wenn Leute über Grenzen gehen.
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03-04/2021 lesen.