Wenn Kinder wählen dürfen, wo sie sein wollen
Wenn ein Kind von seinem eigenen Platz spricht, so kann dahinter natürlich die Entscheidung eines Erwachsenen stehen: »Mein Platz« hieße dann nichts anderes als jener Ort, der dem Kind zugestanden oder vielleicht sogar zugewiesen worden ist. Aber ein Kind kann mit dieser Wendung selbstverständlich auch eine eigene Wahl zum Ausdruck bringen – Edeltraud Prokop und Herbert Österreicher meinen und hoffen, dass es in den meisten Fällen um diese Bedeutung geht, wenn ein Kind sagt (oder zeigt!): »Das ist mein Platz.«
Selbstverständlichkeiten und andere Gewissheiten
Vermutlich halten viele von Ihnen bereits die Frage nach Lieblingsplätzen von Kindern für ziemlich banal. Natürlich wissen wir alle, dass Kinder sich gerne mal an diesem oder jenem Ort aufhalten, sich gerne verstecken, ihre Lieblingsspielsachen gelegentlich an einem ganz bestimmten Ort sammeln, und natürlich gibt es auch Orte, die von einer Gruppe von Kindern bevorzugt aufgesucht werden. Kurz: Wir wissen doch, wo sich Kinder gerne aufhalten und was sie dort erleben können – oder etwa nicht? Und es ist auch kein Geheimnis, dass es zum Wohlbefinden eines Kindes gehört, einen »eigenen Platz« zu haben. Weshalb wollen wir uns dennoch mit dieser Frage auseinandersetzen?
Einen der Gründe, sich diesem Thema genauer zu widmen – und vielleicht ist das der wichtigste Grund –, sehen wir darin, dass wir die Raumerfahrungen von Kindern meist eher pauschal behandeln und damit angesichts der Bedeutung dieser Erfahrungen für Kinder unterbewerten. Bei genauerer Betrachtung zeigen sich nämlich etliche Aspekte, die längst nicht so selbstverständlich sind, wie es zunächst scheinen mag. Dazu gehören individuelle Unterschiede in den Bedürfnissen und Möglichkeiten eines Kindes ebenso wie räumliche und zeitliche Gegebenheiten, aber auch die nicht zu unterschätzende Rolle der Erwachsenen und ihre Einflussnahmen auf die Spiel- und Handlungsoptionen von Kindern.
Ein weiterer Aspekt besteht in der Frage nach der grundsätzlichen Verfügbarkeit geeigneter Plätze und Räume für Kinder. Es gibt heutzutage zwar eine Vielzahl von »Spielplätzen« für Kinder, deren Ausstattung ganz auf die Bedürfnisse und Interessen von Kindern abgestimmt zu sein scheint, und dabei wird selbstverständlich auch auf das Alter der jungen NutzerInnen geachtet. Angesichts der Tatsache, dass solche Spielplätze – seien sie öffentlich oder innerhalb einer Wohnanlage – von Kindern auch tatsächlich frequentiert werden, könnte man meinen, dass damit bereits ein weit- reichendes und vielleicht sogar ausreichendes Angebot gegeben sei. Selbstverständlich gibt es auch an den allermeisten Kindertagesstätten mehr oder weniger gut ausgestattete Außenanlagen, und auch Hausgärten weisen heute nicht selten ein teilweise großzügiges Sortiment an Kinderspiel- geräten auf – Plätze ausschließlich für Kinder also, wohin man schaut.
Nur: Erfüllen diese explizit auf Kinder zugeschnittenen Räume und Orte wirklich den Zweck, für den sie konstruiert und eingerichtet wurden? Oder genauer: Sind diese Raumangebote wirklich alles, was Kinder brauchen, um »ihren Platz« zu finden und damit Orte, die der kindlichen Entwicklung insgesamt förderlich sind?
Regeln bestimmen den Aufenthaltsort eines Kindes
Wenn wir uns mit der tatsächlichen Nutzung von Kinderspielplätzen näher befassen, drängt sich mitunter der Eindruck auf, dass es sich eher um Ghettos handelt, will sagen, um Plätze, die allzu sehr auf ganz bestimmte Erfahrungs- und Erlebnismöglichkeiten der Kinder zugerichtet sind. Andere als die vorgedachten, geplanten und entsprechend vorgegebenen Handlungsabläufe sind in aller Regel unerwünscht, wenn nicht sogar ausdrücklich verboten. Um hier nur einige wenige Beispiele anzuführen, erinnern wir etwa an Rutschen, die natürlich nur zum Rutschen von oben nach unten zu nutzen sind, oder den Spielsand, der selbstverständlich im Sandkasten zu bleiben hat und auch nicht mit anderen Materialien wie Erde, Steinen, Gras verunreinigt werden darf. Andere, nicht weniger klare Vorschriften betreffen Schaukeln und Klettergerüste, Kinderfahrzeuge und andere Spielsachen.
Gebote und Verbote, Verhaltensregeln und Ermahnungen prägen bereits hier den Alltag der Kinder in einem teilweise sehr großen Umfang.
Andere Begrenzungen und Einschränkungen bei der Nutzung von Spielplätzen ergeben sich aus den zeitlichen Strukturen und Abläufen, die natürlich ebenfalls von Erwachsenen bestimmt und kontrolliert werden. Wir alle kennen Situationen, in denen sich ein Kind intensiv mit einem bestimmten Gegenstand beschäftigt, an einer besonderen Erfindung werkelt oder einen Ort gefunden hat, an dem es gerne länger bleiben will, während ein Erwachsener – sei es ein Elternteil oder eine Erzieherin – ganz andere Dinge erledigen will oder muss und das betreffende Kind seine Aktivität möglichst rasch beenden muss. Vielleicht auch noch mit der Aufforderung verbunden, die gerade benötigten Materialien unbedingt aufzuräumen ...
Herbert Österreicher, Diplom-Ingenieur und Magister artium, plant und gestaltet Außenanlagen und Gärten an Kindereinrichtungen. Er gibt Seminare und begleitet Exkursionen zu verschiedenen Bereichen der Umweltbildung und ist für Fachzeitschriften und Buchverlage als Autor tätig. Edeltraud Prokop, Kinderkrankenschwester und Erzieherin, leitete ein Kinderhaus in München und begründete mit ihrem Team die so genannte Freilandpädagogik für Kinder in altersgemischten Gruppen von drei Monaten bis sechs Jahren. Sie ist Referentin und Autorin zu verschiedenen pädagogischen Themen.
Kontakt
www.kinderfreiland.de
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03-04/2021 lesen.