Beratung von Eltern in der Kita
»Wenn ich Paul von der Kita abhole, ist er total gut gelaunt. Kaum sind wir zu Hause, fängt er zu weinen an und ist unzufrieden. So geht das schon seit Wochen. Ich bin mit meinen Nerven wirklich am Ende. Haben Sie einen Tipp für mich?« Solche Anliegen von Müttern und Vätern werden nicht immer gleichermaßen deutlich formuliert, sie sind aber dennoch keine Seltenheit im Kita-Alltag. Wie Fachkräfte darauf reagieren können und welche Möglichkeiten es im Beratungsprozess mit Eltern gibt, erörtern Edita Jung und Hannelore Kleemiß.
Kitas & Familie = Beratung?
Das Elternsein kann in der heutigen Zeit mit besonderen He-rausforderungen und daraus resultierenden Verunsicherungen einhergehen. Mit der gestiegenen Aufmerksamkeit für die Bedeutung der frühen Kindheit zeigen sich auch wachsende Erwartungen an Mütter und Väter.1 Zugleich sind die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen mit weitreichenden Anforderungen an Familien verbunden. Doch gehört die pädagogische Beratung der Mütter und Väter zu den Aufgaben der Fachkräfte? Wenn ja, welche Merkmale müsste sie haben?
In der Fachliteratur wird häufig mit dem Verweis auf den gesetzlichen Auftrag der Kindertagesbetreuung auf die Notwendigkeit einer bedarfsgerechten und zielgerichteten Beratung von Eltern im Sinne der Stärkung von Erziehungskompetenzen verwiesen.2 Dazu ist aber insgesamt kein einheitliches Bild gegeben. Auch in den Bildungsplänen für Kindertageseinrichtungen wird mit diesem Thema sehr unterschiedlich umgegangen. Einige halten die pädagogischen Fachkräfte an, Beratung von Eltern bei Erziehungsfragen als ihre Aufgabe zu definieren (z.B. in Schleswig-Holstein). In vielen Bildungsplänen wiederum kommt der Begriff »Beratung« nicht vor.
Insgesamt bleibt es weitgehend unklar, was unter »Beratung« in Kindertageseinrichtungen ganz konkret verstanden werden kann, in welchem Verhältnis diese zu den gängigen Formen der Zusammenarbeit mit Eltern steht und welche Anforderungen sich damit an die pädagogischen Fachkräfte stellen.
Es ist jedoch im Sinne einer Professionalität erforderlich, diese Fragen zu diskutieren und zu beantworten. Kitas sind zwar primär keine Beratungseinrichtungen, die pädagogischen Fachkräfte werden jedoch als Professionelle in ihrem Tätigkeitsfeld angesprochen. Durch ihren gesetzlich verankerten Auftrag, die Erziehung und Bildung in der Familie zu unterstützen und zu ergänzen, sowie durch ihre fachliche Expertise können Kindertageseinrichtungen als Orte einer »halbformalisierten« Beratung3 angesehen werden.
Beratend begleiten und stärken
Stark zusammengefasst ist professionelle Beratung eine situationsbezogene, zielgerichtete und mit besonderen Merkmalen verbundene Interaktion zwischen BeraterInnen und Ratsuchenden. Diese kann sich auf ein einziges Gespräch beschränken, aber auch einen längeren Prozess bedeuten. Währenddessen wird gemeinsam das Anliegen der Ratsuchenden beleuchtet. Ein strukturiertes Herangehen dient dazu, das Problem samt seiner Ursachen besser zu verstehen. Die Zielsetzung liegt in der Stärkung von Handlungs- und Entscheidungssicherheit im Umgang mit der belastenden Situation. Die BeraterIn begleitet und unterstützt die Ratsuchenden bei der eigenständigen und selbstgesteuerten Entwicklung und Umsetzung von adäquaten Lösungswegen und Handlungsstrategien.4 Besonders bedeutsam sind dabei die Orientierung an individuellen Ressourcen von ratsuchenden Menschen sowie die Berücksichtigung von Ressourcen in ih-rem sozialen Umfeld. Nicht selten ist mit der Beratung eine Bereitstellung von weiterführenden Informationen verbunden.
Sowohl Beratung an sich als auch die Umsetzung von entwickelten Lösungs- und Bewältigungsstrategien beruhen auf einer Freiwilligkeit der Ratsuchenden. Für eine selbstaktive Wahrnehmung eines Beratungsangebotes ist das Vertrauen zu der Beratungsperson unverzichtbar. Dazu tragen auch eine gemeinsame Klärung von gegenseitigen Erwartungen sowie die Herstellung einer Transparenz hinsichtlich der Vorgehensweisen innerhalb der Beratung bei.
In formalisierten Settings, z.B. in der Erziehungsberatung, zeichnen sich die Beratungsprozesse durch ein Schritt-für-Schritt-Vorgehen und damit verbundene Phasen aus. Sie haben einen deutlich definierten Ausgangspunkt und einen Abschluss. Eine Orientierung daran ist auch in einem halbformalisierten Rahmen, wie in Kindertageseinrichtungen, hilfreich. Zentrale Phasen sind:
- Beschreibung der Situation, mit dem Ziel, das Problem zu verstehen und Ideen zu seinen möglichen Ursachen zu entwickeln;
- Erarbeitung von realistischen Zielen und ressourcenorientierten Lösungsstrategien;
- Umsetzung im konkreten Handeln;
- Überprüfung der Ergebnisse, Abschluss und ggf. Entscheidungen hinsichtlich der in dem gegebenen Rahmen nicht behebbaren Schwierigkeiten und weiterer Unterstützungsmöglichkeiten.
Darf ich Sie mal was fragen?
Nicht jedes Gespräch zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften beinhaltet eine Beratung. Aber jede Art von Austausch mit Müttern und Vätern kann eine Frage enthalten, hinter der sich eine Unsicherheit und zugleich ein Wunsch nach Unterstützung verbergen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die alltäglichen »Tür- und Angelgespräche«. Diese kurzen Dialoge und Interaktionen sind eine sehr bedeutsame Kontaktebene. Im Rahmen von häufig spontanen, knappen und niedrigschwelligen Begegnungen werden beidseitig Informationen weitergegeben und nebenbei auch gegenseitiges Vertrauen aufgebaut sowie Beziehungspflege geleistet. Mütter und Väter können »Tür- und Angelgespräche« eigenaktiv initiieren, individuelle Themen und Fragen anbringen und sich auch jederzeit aus der hergestellten Situation herausziehen. Mit dem Blick auf Beratung sind diese Flexibilität und Unverbindlichkeit sehr positiv einzuschätzen, weil sie ein »Herantasten« ermöglichen und die Autonomie der Eltern wahren. Und sicherlich ist es so, dass im Sinne einer Beratung überschaubare und wenig komplexe Anliegen auf diese Weise spontan geklärt werden können.
Zugleich ist aber die Situation eines »Tür- und Angelgesprächs« häufig diffus und wenig strukturiert.5 In der Regel befinden sich Kinder sowie weitere Erwachsene in der unmittelbaren Umgebung. Es ist auch fraglich, inwiefern eine ungeteilte Aufmerksamkeit dem Anliegen der Mutter oder des Vaters zuteilwerden kann. Zudem ist im Alltag einer Kindertageseinrichtung oft ein zeitlicher Druck gegeben, der zu einer vorschnellen Antwort oder einem prompten Rat verleiten und auch zu Missverständnissen führen kann.
Innerhalb dieser Rahmung ist die Fachkraft gefragt, in verschiedener Hinsicht eine fachliche Klärung vorzunehmen. Sie muss zunächst das Anliegen der Mutter oder des Vaters richtig deuten und nachvollziehen, was sich hinter eventuell recht allgemein gestellten Fragen verbirgt. Auf dieser Grundlage muss sie relativ rasch einschätzen und auch erfragen, wie subjektiv relevant, belastend und daher dringend das Anliegen für ihr Gegenüber ist, um falls erforderlich und gewünscht, einen weiteren Gesprächstermin anzubieten. Im Sinne einer Situationsklärung und der Herstellung einer Beratungssituation erscheinen Formulierungen unerlässlich, die zu einer »Identifizierung der Situation als Beratung«6 beitragen, z.B. »Ich habe den Eindruck, die Situation ist sehr belastend für Sie. Möchten Sie darüber noch einmal in Ruhe sprechen? Wollen wir uns dafür verabreden?« Dadurch kann eine Vergewisserung, Rollenklärung und Herstellung eines gemeinsamen Verständnisses über die Situation erfolgen.7 In Tür- und Angelgesprächen können vor diesem Hintergrund Beratungssituationen zwar angebahnt, in der Regel jedoch nicht vollzogen werden.
Dr. Edita Jung ist Erzieherin und Diplom-Pädagogin, Professorin für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Bildung und Erziehung im Studiengang Kindheitspädagogik an der Hochschule Emden/Leer.
Hannelore Kleemiß ist Diplom-Pädagogin, von 1997 bis 2020 Fachberatung beim Kita-Träger Verein für Kinder e.V., Oldenburg.
Kontakt
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 05-06/2020 lesen.