Entdeckendes Lernen von Kleinkindern
Gegenstände aus der Erwachsenenwelt haben oft eine größere Anziehungskraft auf Kinder als Spielzeug. Warum das so ist und wie wir diesen Umstand nutzen können, um das Lernen der Kleinsten zu unterstützen, erklärt Catharina Becker.
Die Espressokannen gehören zu Pauls liebsten Spielzeugen. Andere Kinder lieben Schlüssel, Portemonnaies, Telefone und andere Dinge, die wir Erwachsenen tagtäglich und ganz selbstverständlich verwenden. Aber warum sind diese Dinge so faszinierend für Kinder, wenn es doch die in Hülle und Fülle vorhandenen und gerade für sie gemachten Spielzeuge gibt?
Kinder sehen, wie wir Erwachsenen täglich viele Dinge benutzen. Ohne dass es uns immer bewusst ist, beobachten sie uns bei unseren Tätigkeiten. Durch unsere Handlungen geben wir den Dingen eine Bedeutung, die die Kinder wahrnehmen und die sie ergründen wollen. Auch unser emotionaler Ausdruck im Umgang mit verschiedenen Dingen spielen dabei eine Rolle: wenn wir z. B. in regelmäßigen Abständen auf unser Smartphone schauen, sich unsere Augen hin und her bewegen und wir dabei vielleicht besorgte oder belustigte Gesichter machen. Oder auch dann, wenn wir uns über Besuch freuen, fragen »Möchtest du Kaffee?«und gleich die Espressokanne aus dem Schrank holen. Mit unseren alltäglichen Handgriffen machen wir also die Dinge zu etwas Interessantem und Bedeutsamem.1
Wenn wir die Kinder mit unseren »Erwachsenendingen« spielen lassen, können sie davon profitieren. Paul ist in seinem Spiel mit der Espressokanne minutenlang beschäftigt. Er probiert aus, was er damit anstellen kann und für welche Zwecke sie nützlich sein könnte. Er übt seine feinmotorischen Fähigkeiten, seine Auge-Hand-Koordination und erfährt etwas über die Eigenschaften des Wassers. Das Spielzeug, das für kleine Kinder angeboten wird, spricht häufig vor allem Augen und Ohren an und hält eher wenige Handlungsmöglichkeiten bereit. Wenn wir den Kindern aber zutrauen, auch mit Dingen zu hantieren, die nicht leicht, weich und kuschelig sind, können sie damit vielfältige Handlungsweisen ausprobieren. Sie können die Bedeutungen von Dingen selbst ergründen und sich ein eigenes Bild davon machen.
Lernen durch heuristisches Spiel
Der Ansatz des heuristischen Spiels beschreibt genau dieses handelnde und entdeckende Ergründen der Kinder. »Heuristisch« stammt von dem griechischen Verb heurískein und bedeutet so viel wie »finden, entdecken, neue Erkenntnisse gewinnen«. Heuristisches Spielen bzw. Lernen ist also das entdeckende Lernen und umfasst auch die intensive Auseinandersetzung mit Dingen und die Fähigkeit, aus der Aktivität heraus Lösungen zu finden. Auch die Gehirnforschung hat gezeigt, dass kleine Kinder lernen, indem sie selbst aktiv sind. Sinnliche Erfahrungen sind eine wesentliche Grundlage für die Gehirnentwicklung. Durch sie werden die von Beginn des Lebens an zahlreich vorhandenen Nervenzellen im Gehirn verknüpft. Je häufiger bestimmte Handlungen ausgeführt werden, desto stärker werden diese Verknüpfungen und desto routinierter wird das Kind.
Neben den Sinneserfahrungen, die das Spiel mit Alltagsgegenständen bietet, erproben Kinder ihre (fein-)motorischen Fähigkeiten, gewinnen Vorstellungen von naturwissenschaftlichen Gesetzen, gelangen zu Erkenntnissen über Zusammenhänge und beginnen durch Ordnen und Kategorisieren ein logisches Denken aufzubauen.2 Das selbstbestimmte Spiel stärkt zugleich ihr Selbstvertrauen, denn sie erleben sich als aktive Personen, die durch ihre Handlungen etwas bewirken können.
Der Schatzkorb – heuristisches Spiel im ersten Lebensjahr
Schon im Säuglingsalter lässt sich das heuristische Spiel beobachten und kann gezielt gefördert werden. Der sogenannte
Schatzkorb bietet Kindern im ersten Lebensjahr die Möglichkeit dazu. Entwickelt wurde er von der britischen Pädagogin Elinor Goldschmied.
Durch zahlreiche Beobachtungen erkannte sie, dass Babys deutlich zeigen, wenn sie von ihnen typischerweise angebotenen Spielzeugen gelangweilt sind. Sie fragte sich, welche Dinge ihr Interesse wecken und sie in ihrer Spieltätigkeit unterstützen würden, und bot ihnen Gegenstände aus der natürlichen und gestalteten Umgebung an. So entstand der Schatzkorb. Der Schatzkorb enthält eine Sammlung von ausgewählten Materialien und Objekten, die anregend für die Sinne des Babys und somit für seine Gehirnentwicklung sind. Er ist für Babys im Alter von etwa sechs bis neun Monaten gedacht. In diesem Alter können sie in der Regel bereits sitzen, sind jedoch noch nicht so mobil, dass sie interessante Gegenstände in ihrer Umgebung erreichen können. Somit ist der Schatzkorb für sie eine Quelle von anregendem Spiel.3
Catharina Becker ist staatlich anerkannte Erzieherin und Kindheitspädagogin (B.A.) mit dem Schwerpunkt Krippenpädagogik. In ihrer Bachelorarbeit untersuchte sie Peer-Interaktionen von Krippenkindern. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Kassel und arbeitet dort in einer Krippe.
Kontakt
1 Vgl. Bostelmann A., Fink M. (2012): Seht mal, was ich kann! Das heuristische Lernen von Kleinkindern. Berlin, S. 19
2 Vgl. ebd. S. 9
3 Vgl. Jackson S., Forbes R. (2016): Kleinkinder. Spielen und Lernen in den ersten drei Lebensjahren. Berlin, S. 101f.
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 05-06/19 lesen.