Faszination Wintersonnenwende
Die finsterste Zeit im Jahr und Dunkelheit der langen Dezembernächte sind für Kinder eine spannende Sache. Das wissen wir zumindest von den alljährlichen Martinsumzügen. Warum nicht also die dunkle Jahreszeit dafür nutzen, das zu erforschen, was bei Tageslicht besehen nicht möglich ist. Mit der Wintersonnenwende beginnt, kurz vor Weihnachten, das neue astronomische Jahr. Von jetzt an werden die Tage gegenüber den Nächten wieder länger. Von Andreas Münzer, Dokumentarfilmer und Referent im Elementarbereich, erfahren wir, dass dieses religionsübergreifende und naturwissenschaftlich spannende Ereignis auch für die pädagogische Praxis höchst interessant ist.
Es ist früh am Morgen. Die Gesichter unserer Gegenüber sind nicht zu erkennen, so dunkel ist es im Raum. Wir tasten uns langsam aufeinander zu. Unsere Augen gewöhnen sich an das Restlicht. Es stammt von der Notbeleuchtung, die über der Tür einen matten Schimmer wirft. Dieser Moment der Dunkelheit ist im sonst hellerleuchteten Gruppenraum für die Kinder eine wichtige Erfahrung. Sie erleben, wie ihre weiteren Sinne geschärft werden. Jedes Geräusch wird wichtig. Unerkannte Gegenstände lassen sich mit den Händen fühlen. Dieser Raum wurde nicht künstlich abgedunkelt. Das ist nicht nötig, da von draußen kaum Licht durch die Fenster fällt. Heute ist der 21. Dezember. Wir feiern die Wintersonnenwende, die mit über 15 Stunden längste Nacht des Jahres! Wir zünden eine Kerze an und rücken eng zusammen. Das flackernde Licht wirft lebendige Schatten in die Gesichter. Gemeinsam betrachten wir die Flamme und spüren, wie sie zum Zentrum unserer Gemeinschaft wird.
Seit Urzeiten gemeinsam am Feuer
Auch früher saßen die Menschen in den Winternächten dicht beieinander, wärmten sich am Feuer und erzählten einander Geschichten von den finsteren Dämonen und wilden Tieren, die nachts umherschleichen. Da wünschte man sich eine mächtige schützende Hand. In der längsten Nacht feierten sie das Julfest, die Sonnwendfeier, um ein großes Lagerfeuer. »Jul« leitet sich möglicherweise von »Jolnir« ab, dem Beinamen Odins. Er war der höchste Gott unserer heidnisch germanischen Vorfahren. Hier kennt man ihn auch unter dem Namen Wotan. Ihn mochte man als Beschützer gerne auf seiner Seite haben. Für die Germanen war die Wintersonnenwende wahrscheinlich das wichtigste Fest im Jahr.
Leider ist das Julfest in Deutschland historisch belastet, da man es im Dritten Reich an die Stelle von Weihnachten setzen wollte. Es verkam für einige Jahre zu einer idealisierten Farce rassistischer Germanentümelei. Den Christbaum erklärten die Nationalsozialisten zur Jultanne und das Christkind als Gabenüberbringer ersetzten sie durch Frau Holle, die berühmte Märchenfigur der Brüder Grimm. Das Kreuz erhielt vier Haken. Damit war 1945 zum Glück Schluss.
Zu Zeiten der DDR war die Sonnwendfeier bei der FDJ (Freie Deutsche Jugend, die Jugendorganisation der SED) eine religionsfreie Alternative zum Heiligen Abend. Wieder scharten sich die jungen Menschen um die wärmende Kraft eines großen Lagerfeuers. Heute feiert das Neuheidentum das Julfest wieder. Seine AnhängerInnen verehren auch hier ein Kreuz. Diesmal ist es ohne Haken. Es wird stattdessen von einem Kreis umschlossen: das »Sonnenrad«, ein uraltes Symbol, das den ewigen Kreislauf des Lichtes, seinen täglichen Auf- und Untergang darstellt. Und der Sonne wollte man gewogen sein, denn ohne ihre Wärme und ihr Licht konnten unsere Vorfahren nicht viel ausrichten – im Gegensatz zu heute, wo elektrisches Licht die Nacht zum Tag macht, sobald wir den Lichtschalter betätigen.
Andreas Münzer ist Diplomgrafiker und Dokumentarfilmer u.a. für das Goethe Institut und seit 2004 gemeinsam mit Udel Best Fortbildner und Referent im Elementarbereich. Ein Schwerpunkt ist die Verknüpfung von naturwissenschaftlichen und religiösen Inhalten.
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Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/18 lesen.