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Carola Gliesche kann bald »silberne Leitung« feiern: Seit 23 Jahren arbeitet sie als Leiterin verschiedener Kitas und Horte. Jetzt hat ein sie Nachschlagewerk für KitaleiterInnen verfasst, um – insbesondere jüngere – KollegInnen an ihrem reichhaltigen Erfahrungsschatz teilhaben zu lassen. Marén Wiedekind besuchte sie in ihrer Kita.
Das Erste, was ich von Carola Gliesche zu sehen bekam, war eine Liste. Sie umfasste in 216 Punkten sämtliche Tätigkeitsbereiche einer Kitaleitung. Es war das Stichwortverzeichnis eines Nachschlagewerks für KitaleiterInnen, das mir zum Lektorieren vorlag. In 216 beiliegenden Dateien hatte die Autorin jede der einzelnen Tätigkeiten beschrieben, von A wie Abholberechtigungen über M wie Mitarbeitergespräche bis Z wie Zwischenaudit. Obwohl mir zuvor schon bewusst war, dass eine Kitaleitung viel zu managen hat, war ich doch überrascht davon, was alles dazu gehört: Rechtsfragen, Teamleitung, Baumaßnahmen, Kinderschutz, Buchhaltung, Fragen der Hygiene, die Planung größerer Feste ... Ich staunte – sowohl über das breite Spektrum an Verantwortungsbereichen als auch über die Idee und Fleißarbeit der Autorin – und war neugierig darauf, die Frau kennenzulernen, die das alles so akribisch zusammengetragen hat.
Grüne Insel im Häusermeer
Auf dem Weg zur Kita Waldhäuschen lasse ich die Plattenbausiedlungen von Berlin Hohenschönhausen hinter mir und finde mich plötzlich zwischen Schafen und blühenden Wiesen in einem kleinen Landschaftspark wieder. Direkt daran grenzt das Klinikgelände des Evangelischen Krankenhauses Königin Elisabeth Herzberge, mit alten roten Backsteinhäusern und großzügigen Grünflächen zwischen den einzelnen Gebäuden. Eines dieser schön renovierten Häuser am Rande des Klinikgeländes beherbergt die Kita Waldhäuschen, die zur Stiftung Evangelisches Diakoniewerk Königin Elisabeth (EDKE) gehört. Sie ist von einem 3.500 Quadratmeter großen Garten umgeben. Eine Idylle im Grünen.
Carola Gliesches Manuskript, ihre knappen Mails und effektiven Telefonate hatten mir das Bild einer toughen Führungspersönlichkeit vermittelt. Als sie mir am Eingangstor der Kita entgegenkommt, bin ich zunächst überrascht, dass sie kleiner ist, als ich sie mir vorgestellt habe. Doch um eine große Kita zu führen, muss man andere nicht körperlich überragen. Stattdessen begegne ich einem wachen Blick, einer klaren Stimme und einem forschen Auftreten. Auch in unserem Gespräch und im Umgang mit ihren MitarbeiterInnen bestätigt sich, dass die gelernte Grundschulpädagogin weiß, was sie will. Und nicht nur das: Sie weiß auch, wie sie es erreicht – nämlich am besten direkt und ohne Umschweife. Der kürzeste Weg von A nach B ist geradeaus.
Bevor wir das Gebäude betreten, weist Frau Gliesche mich auf mehrere Emaille-Schilder hin, die neben der Eingangstür angebracht wurden. Es sind Deutsche Kindergarten Gütesiegel der Jahre 2007 bis 2017. »Wir waren die erste Berliner Kita, die diese Auszeichnung bekam«, erzählt mir die Leiterin stolz. »Das war 2007, noch bevor die Zertifizierung für alle Berliner Kitas verpflichtend wurde.« Alle drei Jahre wird die Kita dafür von externen EvaluatorInnen geprüft.
Wir betreten das Leitungsbüro in der unteren Etage. Es ist sonnengelb gestrichen, die Fenster blicken auf den vorderen Teil des Gartens, Vogelgezwitscher dringt herein. Es ist kaum vorstellbar, mitten in Berlin, nur zwanzig Autominuten vom Alexanderplatz entfernt zu sein. »Die Kinder sind bei gutem Wetter jeden Tag ab halb elf im Garten. Manchmal genieße ich es einfach, das Fenster zu öffnen und ihre Stimmen zu hören«, sagt Carola Gliesche. Dann erzählt sie mir, wie sie auf die Idee kam, ein Nachschlagewerk für LeiterInnen zu verfassen. »Ursprünglich war es nur für Vertretungssituationen in unserer Kita gedacht«, berichtet sie, »ich begann in einer Selbstevaluation jede meiner Tätigkeiten aufzulisten und zu beschreiben, so dass meine Stellvertreterin sie auch ohne mich ausführen könnte. Im Laufe der Zeit wurde es immer mehr und ich war selbst erstaunt, wie viel da zusammenkam.« Als sie ihre Sammlung Prof. Wolfgang Tietze schickte, bei dem sie selbst eine Ausbildung als Evaluatorin absolviert hatte, kam zum ersten Mal die Idee auf, diese Texte zu veröffentlichen.
Alles nach Plan
Das Strukturieren und Verschriftlichen zählt zu Carola Gliesches Stärken, wird mir später im Garten auch die Erzieherin und kommissarische Leiterin Beate Eltz bestätigen. Die Konzeption der Kita, die allen MitarbeiterInnen und Eltern ausgehändigt wird, die Zielvereinbarungen für die pädagogischen Fachkräfte und das Qualitätsbuch der Kita Waldhäuschen – alle drei spiralgebunden und mit durchsichtiger Schutzfolie – zeugen ebenfalls von diesem Talent.
Doch bevor wir uns in den Garten begeben, führt mich Carola Gliesche erst einmal durch das Haus. In der Kita Waldhäuschen gibt es keine »offene Arbeit«, sondern altershomogene Gruppen mit PädagogInnen, die die Kinder kontinuierlich vom ihrem ersten Kitatag bis zum Übergang in die Schule begleiten. »Uns sind verlässliche Bindungen das Allerwichtigste«, betont die 53-Jährige. »Auch wenn manche dieses Konzept als konservativ bezeichnen – wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht.« Die ErzieherInnen kennen »ihre« Kinder, deren Entwicklungsschritte und Familien ganz genau und können eine langfristige Bindung zu ihnen aufbauen. »Wenn die Großen in die Schule gehen und draußen im Garten Abschied feiern, können Sie Eimer aufstellen für die ganzen Tränen, die geweint werden – und nicht nur bei den Kindern!«
Es gibt insgesamt sechs Gruppen in der Kita Waldhäuschen. Die drei Gruppen der Jüngeren befinden sich in der unteren Etage, die drei Gruppen der älteren Kinder in der oberen. Als wir durch die Räume der oberen Etage gehen, erkundet gerade die Gruppe der Zwei- bis Dreijährigen ihren zukünftigen Gruppenraum, den sie nach der Sommerschließzeit beziehen wird. Auch innerhalb der Kita werden Übergänge behutsam begleitet.
Im gesamten Kitagebäude lässt sich die ordnende Hand der langjährigen Leiterin finden: In jedem Gruppenraum steht in einem Regal von jedem Kind das in Berlin obligatorische Sprachlerntagebuch und ein weiterer Ordner mit sämtlichen Unterlagen und Entwicklungsberichten. Es gibt eine Fotogalerie mit bunt gerahmten Fotos der Familien und darunter ein sogenanntes Ich-Buch von jedem Kind: laminierte, spiralgebundene Blätter, auf denen Fotos der Familie, des Wohnhauses, von Urlauben, Haustieren und Verwandten der Kinder zu finden sind. Die Garderobenhaken, Zahnputzbecher und persönlichen Fächer der Kinder sind mit deren Fotos gekennzeichnet. An jeder Gruppenraumtür hängt ein selbstgestalteter Kalender, auf dem die Geburtstagskinder mit Foto und Geburtsdatum den vier Jahreszeiten zugeordnet sind. Die Malstifte befinden sich nach Farben sortiert in durchsichtigen Bechern. Neben jeder Treppenstufe ist die Zahl der jeweiligen Stufe bunt an die Wand gemalt. Es gibt feste Regeln, wie die Kinder begrüßt werden und wann sie innerhalb des Tagesablaufes was machen. »Unsere Zielvereinbarungen sind gesundheitsfördernde Maßnahmen«, erklärt Carola Gliesche. »So entstehen weniger Konflikte, weil jeder jederzeit weiß, woran er ist.«
Kontakt
www.edke.de
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 08-09/17 lesen.