Kinder, Räume, Werkstattträume
Das Entstehen einer Werkstattkita ist ein einzigartiger Prozess. Unterschiedlichste räumliche Voraussetzungen wollen berücksichtigt und pädagogische Haltungen reflektiert werden. Marion Tielemann, Fachberaterin und Gründerin der ersten Modell-Werkstattkita beantwortet in dieser Reihe oft gestellte Fragen und beschreibt – zusammen mit den Kitaleitungen – die gemeisterten Herausforderungen.
In die Gestaltung der Lorenzini Kunst-Kita im Hamburger Schanzenviertel war ich von Anfang an einbezogen. Die Leiterin Antje Lorenz, eine Persönlichkeit mit eigenen Visionen, hatte sie neu gegründet und mich für eine einjährige Fachberatung beauftragt. Das heißt, die Aufgabe war dieses Mal nicht, eine bereits bestehende Kita zur Werkstatt-Kita umzugestalten, sondern die Neugründung einer Werkstatt-Kita zu begleiten.
Das ehemalige Geschäft mit seinen beeindruckenden vier Meter hohen Räumen und drei großen gebogenen Schaufenstern liegt an einer stark befahrenen Straße, was für die Kinder eher interessant als störend zu sein scheint. Der vor dem Trubel der Stadt geschützte Eingang der Kita liegt auf der Rückseite des Hauses. Zu ihm gelangt man durch einen großen Torbogen und einen Innenhof mit einigen Parkplätzen und der Schritt für Schritt erkämpften, inzwischen 20 Quadratmeter großen Holzterrasse, die als Ausgleich für den fehlenden Garten dient.
Trotz optimaler Startbedingungen war die Anfangszeit für alle nicht einfach. Antje Lorenz hatte während ihrer Hospitation in der von mir gegründeten Modell-Werkstattkita »KitaBü« Kinder erlebt, die aktiv allein oder zusammen mit anderen Kindern ihre Kitawelt lustvoll eroberten und auch ganz selbstverständlich aufräumten. In ihrer eigenen Kita erlebten sie und die Erzieherinnen täglich ein kleines Chaos. Sie fühlten sich hilflos den Kindern gegenüber, die mit ihrer grenzenlosen Freiheit nicht wirklich etwas anzufangen wussten. Einigen Fachkräften kamen Zweifel am offenen Konzept.
Handlungsbedarf sah ich hinsichtlich der noch relativ unbelebten und sparsam eingerichteten Räume. Ansonsten war mir klar, dass Anfangsschwierigkeiten völlig normal sind. Durchschnittlich braucht jede Kita zwei bis drei Jahre, bis die richtigen Strukturen gefunden sind und Alltag einkehren kann.
Kopieren geht nicht
In der Lorenzini Kunst-Kita waren nicht nur die Räume neu. Antje Lorenz war sehr engagiert und erwies sich auch als geschickte Unternehmerin, sie hatte aber noch nie zuvor eine Kita geleitet. Das fünfköpfige Team kannte sich kaum und startete von heute auf morgen mit 20 ihnen ebenfalls noch nicht bekannten Krippenkindern und 18 Kindern im Elementarbereich, von denen einige zuvor andere Kitas besuchten und das Modell der Gruppenraum-Kita kannten. Sie waren es gewohnt, gelenkt zu werden, Anordnungen der ErzieherInnen zu bekommen und ihnen mehr oder weniger zu folgen.
Weil jede Einrichtung aus einem einzigartigen Zusammenwirken räumlicher Gegebenheiten, fachlicher und persönlicher Erfahrungen von Team und Leitung sowie den Bedürfnissen und Anliegen der Kinder und Eltern resultiert, lässt sich keine Kita kopieren. Auch eine Modellkita nicht. Bei unseren Treffen versuchte ich deshalb, das Team zu ermutigen, sich für ihren Prozess Zeit zu lassen, auf ihre jeweiligen Fragen einzugehen und sie dabei auch emotional zu berühren. Nur wer berührt ist, öffnet seine Türen und kann den anderen Vertrauen entgegenbringen.
Mein Angebot ist immer Hilfe zur Selbsthilfe. Ich beobachte, stelle viele Fragen, lege festgefahrene innere und äußere Strukturen offen und schaffe einen Raum, in dem Lösungen gefunden werden können. Das Team der Lorenzini Kunst-Kita erlebte ich recht inhomogen. Einige Erzieherinnen fühlten sich unsicher und verhielten sich zurückhaltend, andere waren voller Fragen und wieder andere wünschten sich »Rezepte«, nach denen sie arbeiten können. Sie sehnten sich nach »Beweisen«, dass offene Arbeit funktionieren kann. Die gute Zusammenarbeit im Team und die Verinnerlichung der gewünschten pädagogischen Haltung ist letztlich Aufgabe der Kitaleitung. Für Antje Lorenz war das zu dieser Zeit eine große Herausforderung. Deshalb besprach ich wichtige pädagogische Grundsätze, z.B. bzgl. des Raumkonzeptes, vor allem mit ihr und sie wiederum vermittelte dies Schritt für Schritt ihrem Team.
Die Lorenzini Kunst-Kita in Hamburg wurde 2008 in freier Trägerschaft gegründet und beherbergt rund 90 Kinder. Für das »Marc Chagall«-Projekt erhielt sie im Jahr 2013 den Hamburger Bildungspreis. Vom Stammhaus aus wurden inzwischen zwei weitere Kitas gegründet.
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www.kunst-kita.de
Marion Tielemann, Leiterin des Instituts für pädagogische Kompetenz, Fachberaterin und Reggio-Anerkennungsbeauftragte, gründete Anfang der 1990er-Jahre die erste Modell-Werkstattkita »KitaBü« in Schleswig-Holstein und hat unzählige Kitas auf dem Weg, selbst eine Werkstattkita zu werden, unterstützt.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03/17 lesen.