... oder Geschichten für Häuser erfinden
Seit 2003 entwickelt die Architektin Susanne Hofmann an der Technischen Universität Berlin mit einer Gruppe Studierender und lehrenden Architekten – den Baupiloten – Entwürfe für Um- und Neubauten von Kindergärten und Schulen, die mit großem Erfolg in die Tat umgesetzt werden, weil die Baupiloten ein besonderes Konzept verfolgen. Es beruht auf Partizipation und ermöglicht sie. Erika Berthold berichtet.
In der Erika-Mann-Grundschule im Wedding lernen Kinder, deren Eltern aus vielen Ländern stammen. Das Schulhaus, ein riesiger Gründerzeitbau, bewohnt ein Silberdrachen. In den ehemals düsteren Fluren sieht man ihn – hier ein paar Schuppen, dort spannt er einen Flügel aus. Seit die Baupiloten das Haus veränderten, reißen sich die Kinder förmlich darum, Besucher durch ihre Schule führen zu dürfen. Sie sind stolz wie Oskar, denn der Silberdrachen war ihre Idee.
Der spielerische Zugang
Kinder sind manchmal poetisch. Trotzdem hatten sie den Baupiloten nicht gesagt: Macht, dass ein Silberdrache in unserer Schule wohnt. Es war anders, wie Susanne Hofmann weiß: »Um die Verkehrsräume der Grundschule ging es hauptsächlich, um die langen Flure in allen Etagen. Hätten wir die Kinder lediglich gefragt, wie sie ihre Flure haben wollen, wäre wahrscheinlich nicht viel herausgekommen. Wir sagten also: ›Stellt euch einen Weg durch den Garten der Zukunft vor. Wie könnte er aussehen?‹ In zwei Schulstunden entstanden Collagen zu diesem Thema, denen die Kinder Titel gaben, zum Beispiel ›Spurengarten‹ oder ›Das rote Chamäleon‹. Sie erklärten uns auch, was sie damit meinten, beschrieben ihre Absichten. Es war erstaunlich, wie anschaulich sie das taten. Wir Erwachsene haben da viel mehr Hemmungen. Kinder sagen ganz ungescheut, wie sie sich etwas vorstellen, weisen mit dem Finger auf die Collage und erzählen. Meine Baupiloten reagierten mit Modellen und Versuchsreihen darauf, zum Beispiel mit Lichtstudien. Später bauten wir 1:1-Prototypen und testeten, wie sie im Schulhaus wirken könnten. Wir experimentierten mit Edelstahlflächen und Spiegeln, um Licht in die dunklen Schulflure zu bringen. So entstanden atmosphärische Qualitäten – der wichtigste Ausgangspunkt, um Architektur zu entwickeln.«
Ein Student aus der Gruppe der Baupiloten ging auf das Chamäleon ein, dieses seine Farbe wechselnde Tier. Darüber sprach er mit den Kindern, die das spannend fanden und weiter fabulierten. Danach baute der Student ein erstes Modellchen. Als die Kinder es sahen, war plötzlich vom Kuss des Glücksdrachens die Rede. Durch das Spiel mit dem Material, das die Kinder entzückte, wurde das Chamäleon zum Drachen und schließlich zum Silberdrachen.
»Es gefiel den Kindern«, erinnert sich Susanne Hofmann, »dass wir mit ephemeren Mitteln arbeiteten, also mit Licht und Bewegung, so dass sich etwas verändert, dass ein lebendiger Geist durchs Haus schwebt. Das war die Voraussetzung, um die Geschichte vom Silberdrachen zu entwickeln, der seine Spuren im Haus hinterlässt.« Geht morgens die Sonne auf, wirken die Flure anders als nachmittags. Licht und Bewegung, von den Baupiloten aufgenommen und geschickt umgesetzt, verändern sie: Der geheimnisvolle Silberdrache zeigt etwas von sich, aber immer anders.
Die damals entstandene Arbeitsweise prägt die Baupiloten, die immer noch ein Studienprojekt der TU sind, doch inzwischen auch ein Architekturbüro. »Wir sind mittlerweile für unseren spielerischen Zugang zu Architektur bekannt und dafür, dass wir die Nutzer einbinden«, sagt Susanne Hofmann. »Das sind unsere beiden Säulen. In unterschiedlichen Größenordnungen haben wir sie gestestet, und sie bewähren sich.«
Die Nutzer einbinden
Ein Projekt in Leipzig, der Neubau der Kindertagesstätte Lichtenbergweg, entstand nicht mit Studierenden, sondern im Architekturbüro. Es gibt offen und leicht wirkende Gruppenräume, die sich nach Süden öffnen. Dieser Herangehensweise liegt ebenfalls eine Geschichte zugrunde. Susanne Hofmann: »Wir beschäftigten uns mit dem Tagesablauf des Nutzers – also der Kinder – und versuchten, Themen herauszukristallisieren, die den Kindern und dem Kita-Team wichtig waren. Bei unseren Besuchen in der Kita – noch im alten Haus – hatten wir gemerkt, dass die Kinder gern draußen sind, oft mit anderen Kindern kommunizieren, die drinnen sind, und zwar durch die Fenster. Auffällig war auch, dass sie viel forschten und experimentierten, gemeinsam und einzeln, dann völlig in sich versunken. Sie bauten Raketen und einen Ballon, der mittels heißer Luft aufstieg. Heiße Luft ist leichter als kalte, merkten sie dabei. Diese Experimentierfreude der Kinder griffen wir auf, als wir einen Workshop über Reflektoren konzipierten. Workshops mit den Nutzern hatten sich inzwischen als brauchbares Medium der Ideenfindung herausgestellt.«
Die Baupiloten hospitierten, zwei Tage lang. Um in Erfahrung zu bringen, was die Kinder machen. Um dies für den Neubau zu nutzen, damit er den Kindern Möglichkeiten bietet, die sie kennen und – womöglich verbessert – weiterhin gebrauchen können.
Haben Sie schon mal gehört, dass Architekten hospitieren? Ich nicht.
»Gleichzeitig führten wir Gespräche mit den pädagogischen Experten, also mit der Kita-Leitung. Auch mit dem Kita-Träger, dem Jugendamt und dem Bauherren nahmen wir Kontakt auf«, berichtet Susanne Hofmann, »um alle Verantwortlichen ins Gespräch zu bringen, so dass wir gemeinsam Prioritäten festlegen können. Denn: Dem Bauherren ist das wichtig, der Kita-Leitung jenes und dem Träger noch etwas anderes. Also: Alle an einen Tisch. Das waren zwar anstrengende drei, vier Stunden, die wir miteinander verbrachten. Aber es waren nur Stunden, keine Monate! Es war super effektiv. Was wir mit den Kindern überlegt hatten, bezog sich vor allem auf die atmosphärischen Qualitäten. Beides konnten wir wunderbar zusammenbringen.«
Die Erwachsenen erklärten den Baupiloten die pädagogischen Leitideen; man trug die wichtigsten Aktivitäten im Kita-Alltag zusammen und vermerkte, wo sie stattfinden. Als es um die atmosphärische Qualität ging, also vor allem um das, was der Beobachtung der Kinder und ihren Erzählungen entsprang, verständigte man sich auf »lichtdurchflutet«, »geborgen« und »gemütlich«.
Danach kamen die Kinder wieder an die Reihe: In der Kita fand eine Projektwoche zu natürlichen Phänomenen statt. Mit ihren Erzieherinnen gingen sie Wetter-Phänomenen nach und dachten sich aus, wie sie zustande kommen könnten, malten Bilder und zeigten sie den Baupiloten: Gewitterwolken, ein Vulkan, ein Regenbogen, eine Kletterpyramide. Die Architekten baten die Kinder, einige Bilder auszusuchen, aus denen Architektur-Ideen entstehen könnten. Das taten die Kinder.
»Die Erzieherinnen waren gar nicht dabei, als die Kinder uns ihre Prioritäten nannten: Gewitterwolken, der Regenbogen und Vulkanwelten, die zu Raketenstationen werden könnten«, sagt Susanne Hofmann. »Wir hörten zu. Später fragten wir uns: Was sind das eigentlich für Qualitäten, die die Kinder so spannend finden? Schließlich entwickelten wir erste Modelle, zum Beispiel: der gemütliche Teil – ein Regenbogengarten, eine Vulkanlandschaft, die Experimentierlust – ein Regenbogengarten und ein Baumlabor. Und überall Rückzugsorte.«
www.baupiloten.com
Einzigartige Beispiele für den Raum als dritten Erzieher: Die Website der Baupiloten gibt einen guten Überblick über die Philosophie dieses einzigartigen Architekturbüros. Definitiv überzeugt die Rubrik »Projekte«, in der einige Projekte, umfangreich bebildert, dargestellt werden.
www.nextroom.at
Dem Thema »Nachhaltigkeit und Architektur« – oder besser: anspruchsvolle Architektur und ressourcenschonende Bauweise – widmet sich diese Website. Über die Suchmaskeneingabe (oben rechts) mit den Begriffen »Kindergarten« oder »Grundschule« lassen sich interessante, innovative und gut bebilderte Bauprojekte im Bildungssektor finden.
www.netzwerk-bildung-architektur.ch
Wie können Bildungs-Räume so geplant und gebaut werden, dass sich in ihnen Bildung entfalten und Bildungsraum zum Lebensraum formen kann? Dies ist eine der zentralen Fragen, auf die das Netzwerk Bildung & Architektur Antworten finden will. Außerdem will es regelmäßig Fachleute aus den Bereichen Architektur und Planung, Bildung, Politik und Wirtschaft zum Erfahrungsaustausch an einen Tisch bringen.
www.architonic.com
»Ein Raum ist dann von höchster Qualität, wenn Architektur und Design eine Einheit bilden.« Diese Website hat sich der symbiotischen Wechselwirkung zwischen Projekt und Produkt verschrieben und ein umfassendes Nachschlagewerk für ausgewählte Architekturprojekte aufgebaut. Weltweite Einblicke in Kindergarten und Grundschularchitektur gibt es unter > Architektur und Gestaltung > Projekte > Architektur > Kindergärten/Krippen und > Schulen.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03/12 lesen.