Licht und Schatten in der Reggiopädagogik
Zwar gilt das Atelier als fester Bestandteil reggianischer Einrichtungen weitgehend als bekannt, die konzeptionellen Hintergründe der Atelierarbeit sind in der deutschen Rezeption aber erst in Teilen erschlossen. Deshalb skizziert Prof. Dr. Axel Jansa in einem zweiteiligen Beitrag – der erste Teil erschien in Heft 11-12/11 – den Rahmen der Atelierarbeit, die konzeptionellen Begründungsstränge und die praktische Ausgestaltung.
Er lenkt den Blick auch auf offene Fragen und argumentative Bruchstellen. Die Leistungen der Reggiopädagogik anerkennend, sucht er den Dialog mit den Vertreterinnen und Vertretern in Italien und will dazu anregen, deren Impulse zu diskutieren und weiterzudenken. Damit knüpft er an andere Veröffentlichungen an, die sich mit einzelnen Elementen und Entwicklungen reggianischer Pädagogik fragend, ergründend und rekonstruierend auseinander setzen.
4. Erleuchtung und Erkenntnis
Im Folgenden soll aus den vier identifizierten zentralen Sprachen der Reggiopädagogik eine herausgegriffen werden, um deren Bedeutsamkeit und deren Potenzial für die pädagogische Arbeit zu verdeutlichen. Dazu scheinen mir die drei klassischen Ausdrucksformen – Zeichnen, Malen und Plastizieren – weit weniger geeignet als die Experimente mit Licht und Schatten.
Die Bedeutung des Themas »Licht und Schatten«
Für die Behandlung dieser Sprache sprechen mehrere Argumente:
- Das Thema »Licht und Schatten« zieht sich wie ein roter Faden durch das reggianische Konzept; es wird sichtbar in den dokumentierten Projekten und in der Ausstattung der Einrichtungen. Seit 2004 wurde auf der Ebene der Praxisforschung mit der Einrichtung des Lichtstrahlen-Ateliers nochmals ein Entwicklungsschritt vollzogen.
- Die reggianische Arbeit mit Licht und Schatten wurde in deutschen Kindertageseinrichtungen bislang wenig rezipiert, sie erstreckte sich am ehesten auf einfache Experimente an Leuchttischen.
- Das Thema »Licht und Schatten« ermöglicht die Verbindung so unterschiedlicher Zugänge wie Ästhetik, Naturwissenschaften und Philosophie, die in deutschen elementarpädagogischen Konzepten bislang nicht verknüpft werden, und es eignet sich in besonderer Weise für projektorientierte Vorgehensweisen.
Zwei der in Deutschland publizierten Veröffentlichungen beziehen sich explizit auf Licht und Schatten. Damit markieren sie zugleich wichtige Stationen in der Behandlung des Themas: Der 1990 von der Gemeinde Reggio Emilia herausgegebene und 1999 erstmals auf Deutsch unter dem Titel »Alles hat einen Schatten, außer Ameisen« veröffentlichte Band dokumentiert die dreimonatigen Erfahrungen von Kindern zweier reggianischer Einrichtungen mit Schattenexperimenten1. Den dokumentarischen Teil begleiten sachanalytische und didaktische Überlegungen von Mariano Dolci.2 Dolci untersucht die mythologischen Aspekte des Schattens und weist auf die »Gleichsetzung des Schattens mit der Seele« hin, skizziert die Ausstrahlungskraft des »Doppelgängers, der Verdoppelung durch Schatten oder Spiegelbild« in der Literatur insbesondere der Romantik, erläutert die Bedeutung des Schattens für das »Wissen über die Zeit und darüber, wie man sie messen kann« und hebt die Beobachtung des Schattens für Erkenntnisse aus den Anfängen der Geometrie hervor. Zusammenfassend gelangt er zu dem Ergebnis, Schatten hätten nicht nur die Fantasie angeregt, sondern auch Logik und Verstand an der interessanten Schnittstelle zwischen Physik und Metaphysik.3
Bezogen auf Beobachtungen in den Kindereinrichtungen, stellt Dolci fest, dass bereits kleine Kinder Interesse an Schatten hätten und sie im Alter von etwa acht Monaten aufmerksam verfolgen könnten. Die Bedeutung der gezielten Beschäfitung mit dem Schatten erschloss sich Dolci wie folgt:
Kinder suchen den Zusammenhang zwischen einem Gegenstand und seinem Schatten. Sie stellen fest, dass sich das Verhältnis beider zueinander verändern kann und dass sie selbst diese Veränderungen bewirken können: Wenn sie den Abstand zwischen Lichtquelle und Gegenstand verändern, verändert der Schatten seine Größe. Dolci nennt dies die »elastische Perspektive« des Schattens.
Kinder stellen Unterschiede zwischen Gegenstand und Schatten fest: Ersterer lässt sich begreifen, letzterer nicht, ersterer hat Farben, letzterer in der Regel nicht.
In der Auseinandersetzung mit Schatten prallen »das Vertraute und das Ungewöhnliche aufeinander«, kommt es zu »Konflikten zwischen Vorhandensein und Nichtvorhandensein«, etwa wenn Kinder, die den Schatten der eigenen Hand wahrnehmen, sich fragen: Ist er meine Hand oder nicht? Die Bedeutung dieser paradoxen Erfahrung für die Entwicklung fasst Dolci folgendermaßen zusammen: »Dieses Paradoxon akzeptieren zu können ist eine Eigenschaft der menschlichen Intelligenz und die Voraussetzung für den späteren Zugang zu Metaphern und Symbolen«4.
www.projekt-gfki.de
Aus einem Projekt der Akademie Remscheid stammen die bebilderten Spiele und Anregungen zur praktischen Umsetzung des Themas »Licht und Schatten« für Kinder im Elementarbereich. Durchklicken über > Methoden > Licht und Schatten
www.bildung.hessen.de
Ausführliches Unterrichtsmaterial, didaktisch und methodisch gut aufbereitet, gibt es hier. Durchklicken über > Grundschule > Unterricht > Sachunterricht > Licht und Schatten
1 Vgl. Reggio Children <1999> 2002
2 Mariano Dolci – bekannt als Puppenspieler – war der Theaterberater für die kommunalen Krippen und Kindergärten Reggio Emilias.
3 Vgl. Dolci 2002, S. 16ff
4 Dolchi 2000, S. 19
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03/12 lesen.