Ein Blick auf zeitgenössische Theaterkunst für die Allerkleinsten
Kinder bilden sich in der frühen Kindheit insbesondere über sinnliche Wahrnehmungs- und ästhetische Erfahrungsprozesse. Dafür bieten die Künste nicht nur Kindern eigensinnige ästhetische Bildungsgelegenheiten, sondern sie ermöglichen es gleichzeitig Erwachsenen, ihre Wahrnehmung für Kinder und ihren schöpferischen Umgang mit der Welt immer wieder aufs Neue zu sensibilisieren.
In diesem Kontext sind in Deutschland zunehmend Initiativen entstanden, die den Künsten und dem damit verbundenen ästhetischen Bildungspotenzial in der frühen Kindheit mehr Raum geben wollen. Der Musikkindergarten von Daniel Barenboim in Berlin, die Projekte der Yehudi Menuhin Stiftung rund um das Programm MUSE elementar, das Projekt »Kunst-Stück« der Robert-Bosch-Stiftung in Baden-Württemberg, das »mobile Atelier« der Stiftung Kulturregion Hannover, das bundesweite Modellprojekt »Theater von Anfang an« des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland, angesiedelt in Frankfurt am Main und Berlin, zählen dazu. Allen Initiativen gemeinsam ist die Einbindung von Künstlern in die Initiierung ästhetischer Bildungsprozesse in Kindertagesstätten.
Das bundesweite Modellprojekt »Theater von Anfang an« unter der Leitung von Gabi van Droste geht noch einen Schritt weiter. Es erweitert die Kooperation zwischen Künstlern und Pädagogen durch die Einbindung von Wissenschaftlern und hat sich zum Ziel gesetzt, im Zusammenspiel von Theater, Kindertagesstätte und Wissenschaft Theater für Kinder von null bis fünf Jahren zu entwickeln.
Kirsten Winderlich, Dozentin an der Fachhochschule Potsdam und Partnerin des Projekts, richtet im folgenden Beitrag den Blick auf das Theaterspiel für Kinder, die jünger als drei Jahre sind, da sich darin eine besondere künstlerische Bildungs- und Spielweise entfaltet.
Die jüngsten Zuschauer als künstlerische Herausforderung
Zunehmend entdecken Künstler und Theaterschaffende die jüngsten Kinder als Zuschauer. Und zwar nicht in dem Sinne, dass kleine Kinder im Theater zugelassen werden, sondern im Sinne einer künstlerischen Herausforderung. Theaterschaffende fragen sich nicht, wie Theater sein muss, damit Kinder es darin aushalten oder damit das Theater die Kinder aushält, sondern wie Theater – ohne den künstlerischen Anspruch zu minimieren – sein muss, damit es für die Kinder zum Erlebnis und Ereignis wird. So stellt die Theatermacherin Melanie Florschütz in einem Gespräch mit der Regisseurin Barbara Kölling fest: »In der künstlerischen Arbeit für diese Altersgruppe wird deutlich, dass wir uns nicht einfach zu den Kleinen hinunterbeugen können, sondern dass wir uns angesichts der jüngsten Zuschauer als Künstler in die spannende Auseinandersetzung mit den grundsätzlichen Fragen des Theaters und vor allen Dingen des Theatermachens begeben müssen.«1
Diese Auseinandersetzung basiert, in Anlehnung an den Theaterwissenschaftler Gerd Taube2, auf folgenden spezifischen ästhetischen Aspekten der Theaterkunst für die Allerkleinsten:
- Das Stück basiert auf wechselseitigen Wahrnehmungsprozessen zwischen Spielern und Zuschauern.
- Die Zuschauer werden am Theater beteiligt. Es handelt sich um eine gemeinsame Spielerfahrung. Vor diesem Hintergrund sind die Spielregeln flexibel.
- Das Theater für kleine Kinder erzählt auf unterschiedlichen sinnlichen Wahrnehmungsebenen. Bilder, Töne, Klänge, Bewegung, Material und Körper sind gleichberechtigte Ausdrucksmittel. Sprache wird als Material eingesetzt. Das Taktile spielt dabei eine besondere Rolle.
- Die Künstler sind als Spieler präsent, nicht als Darsteller.
- Der Raum wird im Sinne eines relationalen, offenen Raumbegriffs genutzt.
- Das Theater für die Allerkleinsten hat eine eigene Zeit, entwickelt einen eigenen Rhythmus. Gerd Taube: »Den Rhythmus der Spieler und ihres Publikums verbindet das Atmen. Ein gemeinsamer Atem, der vor allen Dingen von den Spielern aufgegriffen werden muss, um mit den Kindern in Einklang zu kommen, gibt ihnen (den Kindern) das Gefühl von Geborgenheit.«
- Die Geschichten werden nicht-linear erzählt, entstehen in der Imagination der Zuschauer.
- Die Künstler haben im Spiel, während der Aufführung, eine wahrnehmende, forschende Haltung ihrem eigenen Spiel und den Zuschauern gegenüber.
Es wird deutlich, dass die Ästhetik des Theaters für kleine Kinder eine Nähe zur Performance und zur Installation aufweist. Neben der sinnlichen Wahrnehmung haben Handlung und Raum eine tragende Bedeutung.
1 Florschütz 2008
2 Taube 2006
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 08-09/08 lesen.