Begriffe versenken war gut. Aber was sagen wir stattdessen? – Gerlinde Lill macht Vorschläge.
Eigentlich wollte ich einen anderen Begriff verschenken, habe ihn aber wieder ausgepackt, weil ich ihn noch ein bisschen behalten will. Nun brauche ich eine Alternative. Improvisation ist nötig.
Andererseits: Eignet sich dieses Wort überhaupt zum Verschenken?
Schau’n wir mal…
Das genial Einfache
Improvisation ist nicht unbedingt ein Wort in Goldpapier. Es hat den Beigeschmack des Unfertigen, Unperfekten, Provisorischen und wird eher entschuldigend benutzt: Ich habe mal schnell improvisiert, also spontan, eher ungeplant und nur halb durchdacht etwas aus dem Ärmel geschüttelt.
Na wunderbar! Da zeigen sich doch Einfallsreichtum und praktische Vernunft!
Picasso war ein Meister der Improvisation: Weil ihm Möbel fehlten, malte er sich welche an die Wand und hatte die Imagination einer Einrichtung. Einfach genial!
Das ist wohl das Geheimnis gelingender Improvisation: Genial in ihrer Einfachheit, sozusagen schlichte Größe und edle Einfalt. Bloß nicht von hinten durch die kalte Küche in die Brust. Sondern mit dem, was da ist, agieren und hantieren. Nutzen, was man finden kann, und mit Fantasie daraus erschaffen, was man braucht. »Aus Schiete Rosinen machen« hieß das früher bei uns zu Hause. Oder: »Not macht erfinderisch.«
Demzufolge ist Improvisation eine Form der Kreativität. Sie erfordert Fantasie und den Mut zu ungewöhnlichen Lösungen, zum Zweckentfremden von Dingen und zum Durchbrechen vorgegebener Funktionen oder Muster.
Zu improvisieren heißt auch, sich auf offene Prozesse einzulassen. Zu riskieren, dass etwas schief geht oder jemand die Nase rümpft. Das wagt man nur, wenn man keine Angst hat, sondern stolz auf seine Lösungsideen ist. In aller Regel gibt es ja auch ein paar Leute, die einen mögen, weil man immer für eine Improvisation gut ist.
Das einfach Geniale
Kinder sind Meister der Improvisation. Mit dem, was sie gerade finden, können sie ein Szenarium erschaffen, das sie für ihr Spiel brauchen. Auch wenn sich uns Erwachsenen der Sinn und Zusammenhang nicht erschließt – es ist immer einer da.
Besonders gut lässt sich das beobachten, wenn vorgefertigtes Spielzeug fehlt. Doch nicht nur dann. Überall können wir sehen, dass Kinder den Dingen andere Bedeutungen zuschreiben. Andere, als die Dinge haben, und andere, als wir denken. Halten wir das aus? Erfreut uns das womöglich?
Erzieherinnen sind auch Meisterinnen der Improvisation. Das müssen sie sein, denn in einem Haus, das von kleinen und großen Menschen bevölkert wird, ist letztlich nichts wirklich planbar. »Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt…«
Wer nicht ständig mit der Unmöglichkeit, etwas genau so zu realisieren, wie gedacht, hadern will, dem bleibt nichts anderes übrig, als sich mit Improvisation anzufreunden. Das tun die meisten von uns ja auch. Nur sind wir nicht stolz darauf. Und das, meine ich, sollten wir ändern.
Schenken wir uns die Freude an unseren kreativen Fähigkeiten. Bauen wir sie selbstbewusst aus. Schauen wir genau hin, wo die Kinder uns zeigen, über welche Fülle von Fantasie sie verfügen. Unterstützen wir ihre Lust am Erfinden und Umfunktionieren, so gut wir können.
Es lebe die Improvisation! Alles andere ist sowieso Mumpitz.
Wie sagte John Lennon doch gleich? »Leben ist das, was passiert, während wir andere Pläne machen.«