Einblicke in die schwedische Elementarpädagogik – Teil 2
Unter zwei Blickwinkeln betrachten Dr. Axel Jansa und Doris Breuer schwedische Elementarpädagogik: Sie informieren über die Entwicklung des schwedischen Bildungssystems und beschreiben sie am Beispiel einer ungewöhnlichen Förskola in Stockholm.
Ihre Darstellung des Bildungssystems fußt auf Literaturrecherchen und einem Gespräch mit Prof. Dr. Mats Ekholm. Die Berichte über Stella Nova basieren auf Besuchen in den Jahren 2004 und 2006, einem Gespräch mit Nevelle Harper und Anitha Eckberg sowie den Ergebnissen einer Langzeitstudie über Stella Nova. Teil 1 des Beitrags, der in Heft 1-2/07 erschien, widmete sich den Grundlagen der Arbeit bei Stella Nova. Teil 2 geht auf den pädagogischen Alltag der Einrichtung ein.
Die Pädagogik des Willkommens: Familien empfangen
Viele Stella-Nova-Kinder kommen bereits mit einem Jahr in die altershomogenen, festen Gruppen. Die Erzieherinnen begleiten sie als Bezugspersonen bis zum Schuleintritt.
Bevor ein Kind erstmals die Kita betritt, stattet Nevelle Harper einen Hausbesuch ab, um die ganze Familie, nicht nur die Eltern und das Kind, persönlich willkommen zu heißen. Bei diesem Besuch informiert er nicht über die Kita, sondern möchte, dass die Familie ihm etwas von sich und über das Kind erzählt oder zeigt, möchte erfahren, was der Familie und dem Kind wichtig ist: Fotos, Spielzeug, Kuscheltiere...
Dass der Kita-Leiter sie besucht, signalisiert der Familie, wie wichtig sie und wie interessant ihr Leben ist. Außerdem bemüht sich Nevelle Harper, Männer, die sich als Familienoberhaupt verstehen, für die Kita zu gewinnen. Wenn möglich, vermeidet er Dolmetscher, obwohl deren Übersetzung das Gespräch erleichtert. Er befürchtet, sie könnten zwischen ihn und die Eltern treten, was die Entwicklung einer echten Beziehung hemmen würde. »Die Schwierigkeiten sind für
den Augenblick zwar beiseite geräumt, kommen aber am nächsten Tag zurück.«
Wenn bei der ersten Begegnung noch nicht viele Informationen ausgetauscht werden, schadet das nichts, meint Nevelle Harper und vertraut darauf, dass die Familien im Laufe der Zeit mehr Informationen aufnehmen.
Die Mentoren: Neue Kinder begleiten
Ein älteres Kind aus der Gruppe der Fünfjährigen, der Mentor, führt das neue Kind in die Kita ein und begleitet es. Die Mentoren bereiten sich auf ihre Aufgabe sorgsam vor, überlegen, was für die Neulinge in der Kita wichtig sein könnte, was sie gemeinsam tun wollen, und machen vorbereitende
Fotos. Ihre Ideen sind auf einem laminierten Faltblatt mit den Namen und Fotos von Mentor und Patenkind festgehalten.
Aufgrund der Altershomogenität gehören die Mentoren nicht zur Gruppe der Patenkinder, weshalb sie in den ersten Wochen manchmal daran erinnert werden müssen, dass sie Patenkinder haben. Doch dann widmen sie sich begeistert ihren Aufgaben, und häufig entstehen Freundschaften.
Am ersten Kita-Tag wird das Kind von einer Gruppenerzieherin und seinem Mentor zu Hause abgeholt und in die Kita begleitet. Plakate im Haus und am Fenster mit Namen und Fotos begrüßen den Neuankömmling und seine Familie.
Die Kultur des Ja-Sagens: Individuelle Bedürfnisse berücksichtigen
Entgegen schwedischen und reggianischen Traditionen gibt es kaum festgelegte Tagesroutinen, die üblicherweise damit begründet werden, dass sie den Kindern Sicherheit bieten. In Stella Nova geben Tagesrhythmen nur ein grobes Orientierungsraster vor, das ignoriert werden kann. Die individuellen Vorlieben und Bedürfnisse der Kinder werden so weit wie möglich respektiert, ihr Spiel wird möglichst wenig gestört. Selbst wenn ein Spielplatzbesuch auf dem Plan steht, müssen nicht alle mitgehen. Möchte zum Beispiel ein Kind seine künstlerische Arbeit unbedingt zu Ende bringen,
kann es dies tun, auch über die gemeinsame Essenszeit hinaus – ein geradezu revolutionärer Gedanke. Die Kinder können andere Gruppen besuchen und hören statt »Geh wieder in deine Gruppe, wir haben jetzt unseren Morgenkreis« ein freundliches »Wenn du jetzt hier bist, kannst du heute sogar zwei Mal mitsingen. Wie schön für dich...«
Stella Nova setzt auf Dialog statt auf Anweisungen, denn Bestätigung und Mitentscheiden bewirken mehr als das Beharren auf Regeln und den daraus resultierenden Verboten. Auf diese Weise reduziert sich auch der Stress für die Erwachsenen: Sie müssen nicht ständig dafür sorgen, dass die Kinder sich den Regularien anpassen. Während einer Zwischenmahlzeit fand ein Mädchen einen Ball neben seinem Platz. Als es herausgefunden hatte, dass er in eine andere Gruppe gehört, stand es auf, brachte ihn der Besitzerin, kam wieder zurück und aß weiter. In einer anderen Einrichtung hätte das Kind mit dem Verlassen des Esstischs eine Gruppenregel gebrochen,die über den Absichten und Zielen des Individuums rangiert. Die Erzieherinnen hätten Angst, dass alle aufstehen und Chaos verursachen würden.
www.bpb.de
Interessanter Beitrag auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung, der die Betreuungskulturen der Länder Schweden, Frankreich und Deutschland im europäischen Kontext veranschaulicht und Anregungen für Debatten in Deutschland geben soll. Zu finden über die Eingabe »Mechthild Veil« in die Suchmaske oben rechts.
www.skolverket.se
Informationsseite der Nationalen Agentur für Bildung (National Agency for Education – Skolverket) in Schweden. Über > The Swedish School System > Preschool activities gelangt man in den englischsprachigen Bereich über die Frühpädagogik.
www.quality4children.info
Einen weiteren Blick über den Tellerrand ermöglicht das Projekt dreier internationaler Organisationen – FICE, IFCO und SOS-Kinderdorf –, die im Bereich der Kinderbetreuung tätig sind und die sich gemeinsam für die Sicherung und Verbesserung der Entwicklungschancen von Kindern einsetzen, die nicht in ihren Herkunftsfamilien aufwachsen können. Schweden und Deutschland sind ebenfalls beteiligt.
www.kindergartenpaedagogik.de/913.html
Fachbeitrag von Birgit Fix: »Kindertagesbetreuung in Frankreich, Finnland und Schweden«. Über die Startseite lassen sich unter der Rubrik > Kinderbetreuung: andere Länder weitere Online-Beiträge zum Thema finden.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03/07 lesen.