Umgang mit aggressivem Verhalten von Kindern in Kita und Krippe
Die Wut! Eine heftige, meist unkontrollierte Emotion, die alle mehr oder weniger am Geschehen beteiligten Kinder und Fachkräfte irritiert. Was diese wahrscheinlich lauteste, störendste und verstörendste und mitunter sich oder andere gefährdende Emotion ausmacht, wie wir sie angemessen begleiten können und warum Konflikte als bildungsrelevante Themen zu verstehen sind, beschreibt die Verhaltensbiologin Gabriele Haug-Schnabel.
Gerade noch spielten Anton und Fritz engagiert miteinander, als es von einem Moment auf den anderen zwischen den beiden Fünfjährigen laut wird und das Streitgeschehen die Aufmerksamkeit sämtlicher Augen- und Ohrenzeug:innen auf sich zieht. Immer wieder beobachten wir in Einrichtungen bei laufendem Betrieb, wie solche Szenen die unmittelbar Beteiligten irritieren und auch die am eigentlichen Streitgeschehen unbeteiligten Kinder in ihrem eigenen Tun und Spiel innehalten lassen. Anlass für Wutausbrüche können unterschiedlichste Ursachen sein. Oft haben sie eine bereits länger gärende Vorgeschichte, die meist nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Wahrscheinlich hat sogar jede Wut eine mehr oder weniger lange, unverarbeitete Vorgeschichte, die – solange sie nicht verarbeitet ist – jederzeit wieder aufflammen kann.
Deshalb braucht es gerade für das Thema »Wut und Aggression« eine differenzierte Blickschulung, um zu erkennen, ob Kontrahent:innen allein Schritt für Schritt zu einer verträglichen Lösung zurückfinden können oder ob keine schnelle Lösung zwischen den Kindern in Sicht ist. Je nachdem sollten wir weiter zugewandt beobachten oder dezent einschreiten. Eine realistische Einschätzung – ob Kinder einen Streit problemlos allein und zeitnah beilegen können oder nicht – ist für den Umgang mit Wutszenarien wirklich wichtig.
Wen stört’s?
Doch selbst nach einer kurzen Verständigungsszene ist keineswegs sicher, dass die Kinder gemeinsam weiterspielen können, als wäre nichts gewesen. Häufig braucht es eine zumindest kurze zugewandte und sensible Begleitung seitens der Fachkräfte. Einem Streit bewusst aus dem Weg zu gehen, wenn soeben noch heftige Wut im Spiel war, überfordert viele Kinder, weil ihnen die Erfahrung für unterschiedliche Lösungsvarianten noch fehlt. Und doch wünschen sich Fachkräfte oft genau das, denn Wutanfälle können anstrengend sein – für die Kinder und für die Fachkräfte. Fragt man nach, was genau an Konflikten als störend empfunden wird, erfährt man, dass es der Sand im Getriebe ist, der sich blitzschnell auf das Spiel und die Stimmung der anderen Kinder auswirkt. Und tatsächlich knallt es nach der kurzen Verständigung zwischen Anton und Fritz schon wieder. Es wird laut, und wir hören den Kommentar eines der älteren Kitakinder: »Die haben beide schon wieder eine Stinkwut!« Neuankömmlinge in der Krippe und ängstliche Einzelkinder leiden besonders, wenn es in ihrer Nähe zu nicht erwarteten Wutanfällen kommt. Doch auch Mädchen und Jungen, die mehrere Meter entfernt spielen, erschrecken sich erfahrungsgemäß. Die aggressiv wütenden Kinder machen ihnen Angst, und die Fachkräfte fühlen sich, »wenn alles drunter und drüber geht«, überfordert.
Ein Kind, das häufig aggressiv und spontan wütend wird, bekommt von ihnen während einer Teamsupervision folgende Zuschreibungen:
• Es fällt überall auf.
• Es tanzt immer aus der Reihe.
• Es findet nur schwer seinen Platz in der Gruppe.
• Es stört oft die anderen Kinder und ihr Spiel.
• Wir müssen das wütende Kind immer im Blick haben. Das ist anstrengend!
Das Anstrengendste dabei sei, dass man immer wachsam sein müsse: »Man muss zu jeder Zeit bereit sein, schnell eingreifen zu können, um ein Kind oder ein Spiel schützen zu können.« Und weil die Streitgeschehen als »herausfordernd und anstrengend« erlebt werden, könne das auch dazu führen, »dass man in der täglichen Anstrengung die Lust daran verliert, sich den Kindern zuzuwenden.« Dabei braucht ein aggressivwütendes Kind genau das: einen individuellen Blick und eine schnelle und für alle Beteiligten gute Lösung!
Gabriele Haug-Schnabel ist Verhaltensbiologin und Ethnologin. Sie führt beobachtungsbasierte Erhebungen in Kitas durch, hat langjährige Erfahrungen im Bereich der kindlichen Entwicklung und leitet die von ihr gegründete Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen (FVM). Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und ein Beitrag in Betrifft KINDER zur von ihr 2013 im verlag das netz mitherausgegebenen NUBBEK-Studie (Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit) stehen unter www.verhaltensbiologie.com/forschen/nubbek/ (28.02.24) zur Verfügung. Außerdem ist sie Autorin von Aggressionen im Kindergarten (2002), Umgang mit aggressivem Verhalten von Kindern. Praxiskompetenz für Kitas (2020) und Die gute Kita. Handlungsempfehlungen für die Frühpädagogik (2024) sowie eine der Interviewpartner:innen in Domenik Schusters Dokumentarfilm Liebe, Wut und Milchzähne (2023).
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03-04/2024 lesen.