Unterstützungsbedarfe pädagogischer Fachkräfte
Verhaltensauffällige Kinder bedeuten eine zusätzliche Arbeitsbelastung für die Kita. Was brauchen Fachkräfte, um ihnen liebevoll und fördernd begegnen zu können? Ann-Katrin Bockmann und Anna-Lena Wilgen haben in einer Studie untersucht, was besonders belastet und wo es an Unterstützung fehlt. Außerdem fragen sie, wie alltagsintegrierte Sprachförderung die angespannte Situation verbessern kann.
»Früher hatten wir ein bis zwei verhaltensauffällige Kinder in einer Gruppe – heute weiß ich kaum noch, welches Kind im Verhalten nicht auffällig ist.« Pädagogische Fachkräfte in Kitas sind in Bezug auf Stress- und Burn-out-Werte eine sehr belastete Berufsgruppe. Weniger als die Hälfte der in einer Studie befragten Fachkräfte konnten sich vorstellen, ihren Beruf bis ins Rentenalter auszuführen. Gründe dafür sind einerseits die physische und andererseits die emotionale Belastung z.B. durch Verhaltensauffälligkeiten der Kinder. Hinzu kommen immer mehr organisatorische Aufgaben, so dass über 64 Prozent aller Fachkräfte regelmäßig Überstunden machen. Verständlicherweise sind Erzieher:innen mit den derzeitigen Arbeitsbedingungen sehr unzufrieden. Sie haben bei einem übervollen Arbeitstag und einem durchschnittlichen Schlüssel von 13 bis 20 Kindern pro Fachkraft zu wenig Zeit, um auf die Bedürfnisse jedes Kindes ausreichend einzugehen. Stets bleibt das Gefühl, den eigenen pädagogischen Ansprüchen im Kita-Alltag nicht gerecht zu werden. Eine Erzieherin drückte es so aus: »Ich hätte so gerne mehr Zeit, den Kindern etwas beizubringen, aber aktuell kann ich die Kinder nur betreuen.«
Durch die Corona-Pandemie hat sich die Anzahl verhaltensauffälliger Kinder von 14 bis 18 Prozent auf 23 bis 29 Prozent erhöht, was ein hohes Maß an Stress und Belastungen bei den Fachkräften auslöst. Auch hiermit stehen sie größtenteils alleine da. Im Rahmen der Studie »Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern im Kindergarten – Unterstützungsbedarfe pädagogischer Fachkräfte« (Universität Hildesheim) haben wir Erzieher:innen über ihr Wissen und ihre Erfahrungen zum Thema verhaltensauffällige Kinder befragt. 38 Prozent der Befragten gaben an, noch nie an einer Fortbildung zu diesem Thema teilgenommen zu haben. Obwohl sie sich entsprechende Fortbildungen wünschten, mangelte es an Angeboten.
Besondere Belastungen
Verhält sich ein Kind wiederholt und in verschiedenen Situationen deutlich anders als gleichaltrige Kinder in ähnlichen Situationen, handelt es sich dem Entwicklungspsychologen Klaus Fröhlich-Gildhoff zufolge um »Verhaltensauffälligkeit«. Bei Verhaltensauffälligkeiten wird allgemein zwischen internalisierenden (nach innen gerichteten, z.B. Ängsten) und externalisierenden (nach außen gerichteten) Verhaltensauffälligkeiten wie Aggression und Hyperaktivität unterschieden. Den Unterschied zwischen internalisierenden und externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten verdeutlichen die Fallbeispiele von Mia (2;6 Jahre) und Kasra (5;2 Jahre):
Jeden Tag bricht Mia unvorhersehbar emotional zusammen und beginnt zu weinen. Sie ist nur noch durch die unmittelbare körperliche Nähe einer Fachkraft zu beruhigen, die Mia dann für den Rest des Tages in Anspruch nimmt.
Kasra hingegen ist aggressiv gegenüber anderen Kindern, sehr aktiv und geht mit seiner lauten Stimme allen auf die Nerven. Eine Fachkraft ist quasi den ganzen Tag »abgestellt«, um dafür zu sorgen, dass er nicht zu viel Unruhe verbreitet und anderen Kindern wehtut. Alle freuen sich, wenn Kasra mal einen Tag nicht in die Kita kommt.
Wie sehr belasten solche Verhaltensweisen Fachkräfte? Und was belastet sie besonders? Die Befragten unserer Studie gaben an, dass es insbesondere die externalisierenden Verhaltensweisen (siehe Kasra) sind, die als äußerst belastend empfunden werden – hauptsächlich aufgrund des plötzlichen Handlungsdrucks, der durch ein sehr lautes oder störendes Kind ausgelöst wird. Die internalisierenden Verhaltensauffälligkeiten (siehe Mia) werden auf den ersten Blick als etwas weniger belastend wahrgenommen, wobei die Belastung oftmals in der Freizeit in Gestalt grüblerischer Gedanken wiederkehrt: »Ob Mia zu Hause wohl auch so viel weint? Hoffentlich geht es ihr jetzt besser! Ob sich Mias Eltern oft streiten und sie deshalb so schnell überfordert ist?«
Viele Fachkräfte machen sich Gedanken darüber, warum sich Kinder anders verhalten, und verstehen, dass die Kinder aus der Not heraus handeln. »Kinder, die Schwierigkeiten machen, sind Kinder, die sich in Schwierigkeiten befinden«, stellt der Entwicklungspsychologe Gordon Neufeld fest. Jedoch sind Erzieher:innen in ihrem stressigen Arbeitsalltag ohnehin belastet und häufig unsicher, wie sie auf auffälliges Verhalten so reagieren können, dass sie ihrer Verantwortung für das einzelne Kind und für die gesamte Gruppe gerecht werden.
Ann-Katrin Bockmann ist Logopädin, Psychologin und Kinder- und Jugendpsychotherapeutin, therapeutische Leitung der Hochschulambulanz für Kinder und Jugendliche (KiM) sowie Leiterin von KEA (Kinder entwickeln alltagsintegriert Sprache) an der Universität Hildesheim.
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Anna-Lena Wilgen ist Psychologin und befindet sich in der Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin. Sie ist ehemalige Masterstudentin an der Universität Hildesheim und aktuell Mitarbeiterin einer Klinik im Harz.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 09-10/2022 lesen.