Eingewöhnung als »Krise« und Chance für wertschätzende Begleitung
Die Eingewöhnung ist ein sensibler Übergang, der bei allen Beteiligten viele Gefühle auslöst. Warum der Verzicht auf Bewertungen zur Entspannung und zum Gelingen beitragen kann. Eine ganz persönliche Reflexion zum Thema von Daniela Fuchs.
Ich sitze da und gucke meiner dreijährigen Tochter beim Spielen im Kindergarten zu. So hatte ich es mir zumindest gedacht – es handelte sich eigentlich nur um einen »kleinen Übergang« aus der Krippe in eine Gruppe mit größeren Kindern. Meine Tochter aber dachte anders. Sie saß an ihrem ersten Kindergartentag an mich gekuschelt auf meinem Schoß und betrachtete das rege Treiben um sie herum. Und so blieb es auch am nächsten und übernächsten Tag.
Als Mutter war ich immer wieder erstaunt zu sehen, wie unterschiedlich Kinder auf neue Situationen reagieren, beispielsweise die Eingewöhnung in die Krippe oder Kita. Manche marschieren einfach in die Gruppe, sagen Tschüs und sind angekommen. Andere sind kurz noch bei Mama oder Papa, dann lassen sie sich auf ein Spielangebot ein und tanken nur zwischendurch mal wieder bei den Eltern auf, durch Zeigen eines Spielzeugs oder Kuscheln. Und wieder andere brauchen wirklich viel Zeit, um zu landen.
In mir war eine einigermaßen bunte Mischung aus Gefühlen. Der Wunsch, meine Tochter möge sich im Kindergarten bald wohlfühlen und eine gute Zeit mit anderen Kindern und den ErzieherInnen haben. Die Hoffnung auf Entlastung durch eine Kinderbetreuung am Vormittag. Die Frage, wie die ErzieherInnen auf mein Kind – und mich – reagieren werden. Etwas Anspannung und der Gedanke: »Was passiert, wenn es nicht klappt mit der Eingewöhnung?« Gleichzeitig das Bemühen, meiner Tochter den zuversichtlichen und sicheren Hafen zu bieten, den sie vermutlich jetzt gerade dringend braucht …
Übergang als verletzliche Zone
Übergänge, wie die Eingewöhnung in eine Kindertagesbetreuung, sind für Eltern, Kinder und ErzieherInnen sehr verletzliche Zonen. Die Reaktion des eigenen Kindes ist nicht unbedingt vorhersehbar. Während PädagogInnen die Situation der Eingewöhnung viele Male im Jahr erleben, sind es für Eltern, je nach Kinderzahl, sehr seltene und besondere Momente. Wenn ein Kind zum ersten Mal in eine Kinderbetreuungseinrichtung kommt, wird die Familie auch zum ersten Mal mit Erwartungen und möglicherweise Bewertungen von Dritten konfrontiert: Wie geht die Familie mit solchen Situationen um? Wie gut gelingt die Ablösung des Kindes? Wenn die Eingewöhnung mehr Zeit braucht als gedacht oder holprig verläuft, haben Eltern vermutlich viele bewertende Gedanken über sich, ihre Kinder und manchmal auch über die Einrichtung und die pädagogischen Fachkräfte. In dieser Phase werden in alle Richtungen Beziehungen aufgebaut – nicht nur zwischen ErzieherInnen und Kindern, sondern auch zwischen ErzieherInnen und Eltern. Und Eltern und Kinder erleben in ihrer Beziehung etwas Neues.
Geborgenheit, Sicherheit, Vertrauen …
Was lässt sich für die Eingewöhnungssituation mit Blick auf die Bedürfnisse aller Beteiligten vermuten?
- Die Kinder wollen sich sicher fühlen und brauchen Geborgenheit und Vertrauen. Gleichzeitig wünschen sie sich Anregung, Spiel und Gemeinschaft mit anderen Kindern.
- Die Eltern wollen sichergehen, dass ihr Kind sich wohlfühlen kann und in der Einrichtung gut aufgehoben ist. Sie brauchen Vertrauen in die Kompetenz und Erfahrung der ErzieherInnen. Und sie wünschen sich – gerade, wenn es nicht so gut läuft – Wertschätzung für sich als Eltern und Verständnis.
- Die ErzieherInnen wünschen sich, dass die Kontaktaufnahme mit dem Kind gelingt, und möchten beitragen, dass das Kind gut in der Einrichtung ankommt. Sie brauchen ebenfalls Vertrauen in ihre berufliche Kompetenz und ihre Erfahrung bei der Gestaltung des Übergangs. Und sicherlich wünschen sie sich oft auch einfach Leichtigkeit.
Es ist für alle Beteiligten ein großes Geschenk, wenn es gelingt, eine solch sensible Zone als wertschätzenden, bedürfnis- und beziehungsorientierten Prozess zu gestalten. Die Eingewöhnung meiner Tochter wurde eine sehr positive Erfahrung – vor allem dank des Verhaltens der Erzieherinnen, das ich als feinfühlig und wertschätzend erlebt habe. In der Einrichtung wird nach dem Berliner Modell gearbeitet, in dem die Begleitung durch eine Bezugsperson des Kindes einen hohen Stellenwert hat, die Trennung gut vorbereitet wird und in kleinen Schritten passiert.
Bewertungsfrei Beziehung aufbauen
Die größte Erleichterung für mich war, dass weder meine Tochter noch ich im gesamten Prozess (negativen) Bewertungen oder psychologischen Deutungen ausgesetzt waren. Als deutlich wurde, dass sich meine Tochter nicht wie geplant löst, blieb unsere Bezugserzieherin gelassen. Sie hat mich nicht gefragt, ob ich mich als Mutter vielleicht nicht lösen könne oder ob ich ein schlechtes Gewissen hätte. Am dritten Tag reichte sie mir eine kleine Broschüre, in der ein paar Erfahrungen zu Eingewöhnungs- und Übergangssituationen beschrieben wurden. Hier wurde auch benannt, dass die innere Haltung der elterlichen Bezugsperson zur Eingewöhnung eine Rolle spielt. In dieser dezenten Weise konnte ich das gut annehmen und mich mit der Frage, wie ich dazu stehe, beschäftigen.
Daniela Fuchs, Dipl. Psych., ist Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation (Zertifizierung durch das Center for Nonviolent Communication, USA). Sie arbeitet selbstständig als Trainerin, Coach und Konfliktmediatorin für Wirtschaftsorganisationen und Privatpersonen. Sie ist Mutter von zwei Kindern.
Kontakt
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 05-06/19 lesen.