Das, was Kinder ausmacht, was sie prägt und jeden Tag wieder neu mit guter oder schlechter Laune füllt, das ist ihre Familie. Familienmitglieder sind in der Regel die ersten Menschen, denen ein Kind morgens begegnet, und meistens sind es auch die letzten, die es vor dem Einschlafen noch sieht und die das Kind in seine Träume begleiten. Familie kann Geborgenheit bedeuten, Liebe und das ganz große Glück, sie kann aber auch traurig machen oder einschüchtern. Familien können wachsen und schlimmstenfalls wieder zerbrechen. Von all diesen unterschiedlichen Formen von Familie erzählen Bilderbücher, so dass Kinder in jeder Situation ein Buch finden können, das ihre eigene Geschichte erzählt.
Alles Familie
Von der wahren, großen Vielfalt von Familienkonstellationen erzählen Alexandra Maxeiner (in Worten) und Anke Kuhl (in Bildern) in ihrem bereits 2010 erschienenen Bilderbuch »Alles Familie«. Angefangen von den Steinzeitmenschen bis hin zur modernen Patchworkfamilie, von echten, halben oder Blutsbrüdern, generationenübergreifend und ohne jedes Tabu werden hier alle Formen des familiären Zusammenseins in kurzen, klaren Sätzen beschrieben und mit einem humorvollen Augenzwinkern ins Bild gesetzt. Es geht um Ähnlichkeiten und Unterschiede, Gemeinsamkeiten und den Wunsch nach Individualität, um die Vor- und Nachteile von Geschwistern, allzufrühes Sterben, Kinderdörfer und um Tanten, die noch Babys sind – und über allem steht in unsichtbaren Worten: Diese Familie ist richtig.
Egal, wie verrückt sie uns Lesern auch manchmal erscheinen mag, sie wird vorurteilsfrei dargestellt und gibt Kindern und Erwachsenen einen Einblick in das, was alles möglich ist. Das Buch lässt sich von vorne bis hinten lesen, kann aber je nach Informationsbedarf auch punktuell betrachtet werden, wenn sich etwa die familiäre Konstellation eines Kindes ändert und man ihm vermitteln will, dass die Änderung zwar einer gewissen Gewöhnung bedarf, aber nicht zwangsweise auch bedeutet, dass nun alles falsch ist. »Alles Familie« ist nicht umsonst ein Bestseller geworden – irgendwie ist an diesem Buch alles richtig!
Ein Baby in Mamas Bauch
Manchmal wächst eine Familie. Wenn zum Beispiel Mama ein Baby bekommt, so wie das bei der Mama von Oskar und Mia der Fall ist. Das ist eine aufregende Zeit, finden die Zwillinge! Wie ist das Baby dort hineingekommen? Was macht es die ganze Zeit da drin? Und wann wird es endlich herauskommen und wirklich Teil der Familie sein? Anna Herzog verbindet diese Geschichte ums Fragen und Warten mit vielen Sachinformationen, die von Joëlle Tourlonias liebevoll illustriert werden. So ist »Ein Baby in Mamas Bauch« eigentlich beides: Eine Vorlesegeschichte, aber auch ein Buch, das Wissen vermittelt. Wie ist das etwa mit dem »Sexen«, fragen Mia und Oskar, die das Wort mal irgendwo aufgeschnappt haben.
Was passiert da, und ist das nicht unglaublich ekelhaft? Ihre Eltern und Tante Fia erzählen, was sie darüber wissen, ohne dabei kitschig, bienig-blümelig oder (schlimmer noch) peinlich zu werden. Sie erklären, was Hormone sind, und dass sich Menschen beim Wachsen nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich verändern. Besonders schön sind Sätze, die klarmachen, dass jeder auf seine Art lieben darf, aber dass man nicht zulassen muss, in einer Art geliebt zu werden, die einem selbst nicht gefällt. Insofern ist »Ein Baby in Mamas Bauch« ein bisschen mehr, als ein erzählendes Aufklärungsbuch – es stärkt Kinder darin, auf die eigenen Gefühle zu achten.
Großartig gemacht!
Wolfi, der Hase
Um Familienzuwachs der etwas anderen Art geht es in »Wolfi, der Hase«. Darin wird nicht thematisiert, wie ein neues Baby entsteht – dieser Frage entziehen sich die Verfasser geschickt, indem sie die Hasenfamilie ein komplett fertiges Wolfsbaby vor der Haustür finden lassen – , sondern was für Veränderungen ein neues Familienmitglied mit sich bringt. Hasenmädchen Nora fürchtet vor allem eines: »Er wird uns alle auffressen!« Immer und immer wieder ruft sie das, aber niemand hört ihr zu. Mama und Papa Hase sind ganz verliebt in den kleinen Wolf, der unbestreitbar der Beste im Schlafen, Essen und Sabbern ist. Nora bleibt misstrauisch, obwohl ihr Wolfi zutraulich überall hin folgt. Schließlich kommt es im Gemüsemarkt zu einer brisanten Situation, bei der es in der Tat ums Fressen und Gefressenwerden geht – aber vielleicht nicht ganz so, wie große und kleine Leser das erwartet hätten.
»Wolfi, der Hase« spiegelt die kindliche Eifersucht, wenn ein neues Baby in der Familie ist. Die Angst vor dem »Gefressenwerden« kann im übertragenen Sinne gedeutet werden – »frisst« so ein Baby nicht sehr viel Zeit? Und krempelt es nicht alles um? Bezeichnend ist, dass die Eltern Nora nicht zuhören, weil sie viel zu sehr mit dem kleinen Wolfsbaby beschäftigt sind – eine Situation, die große Geschwisterkinder sicher gut nachvollziehen können. Das unerwartete Ende aber macht das Buch außerdem zu einer ausgesprochen spannenden Vorlesegeschichte für alle Kinder ab vier Jahren, egal, ob Geschwister im Haus sind oder nicht – und die Illustrationen von Zachariah OHora sind einfach zum Verlieben!
AG Bücher für Vorleser
Literatur
Alexandra Maxeiner und Anke Kuhl (Illustration): Alles Familie! Vom Kind der neuen Freundin vom Bruder von Papas früherer Frau und anderen Verwandten. Klett Kinderbuch 2010. Ab 5.
Anna Herzog und Joëlle Tourlonias (Illustration): Ein Baby in Mamas Bauch. Sauerländer 2015. Ab 5.
Ame Dyckman und Zachariah OHora (Illustration): Wolfi, der Hase. Aus dem Englischen von Thomas Bodmer. NordSüd 2016. Ab 4.
Kontakt
Vorlesen in Familien
Ein Projekt der Phantastischen
Bibliothek Wetzlar
Angelika Nitschke
www.phantastik.eu
Tel: 06441/4001-46
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/16 lesen.