Sprachbildung und Sprachförderung unter Peers
Die Kita als Ort der Sprachbildung – ein viel diskutiertes Thema. Doch fast immer richtet sich der Blick auf die pädagogischen Fachkräfte. Ulla Licandro und Ulrike M. Lüdtke fügen hier einen weiteren Aspekt hinzu: die Sprachbildung durch die Kinder untereinander.
Wenn wir uns mit Sprachbildung und Sprachförderung befassen, dann häufig mit der Rolle der pädagogischen Fachkraft. Zu einem lernanregenden Umfeld gehört jedoch auch die Kindergruppe, der oft weniger Beachtung geschenkt wird. Ihr kommt eine zentrale Rolle zu, denn schließlich verbringen die Kinder sehr viel Zeit gemeinsam und diese natürlich auch in sprachlicher Interaktion. Gerade in großen Stammgruppen kann es vorkommen, dass sich Kinder häufiger untereinander sprachlich austauschen als mit pädagogischen Fachkräften. Zahlreiche Studien aus dem In- und Ausland belegen, dass die sprachliche Interaktion der Kinder einen wesentlichen Einfluss auf die Sprachentwicklung hat.
Peer-Interaktionen fördern die Entwicklung
Was macht die Beziehungen unter Peers im Vergleich zu Beziehungen mit Erwachsenen so besonders? Aus entwicklungspsychologischer und sprachdidaktischer Sicht kommen mehrere Aspekte zum Tragen.
Peers
- sind in einem ähnlichen Alter,
- befinden sich im Allgemeinen auf einem ähnlichen kognitiven, emotionalen, sozio-moralischen und sprachlichen Entwicklungsstand,
- müssen ähnliche Entwicklungsaufgaben bewältigen,
- haben aufgrund der Überschneidungen im Wissens- und Kompetenzstand häufig Übereinstimmungen in Humor, Interessen und bevorzugten Spielaktivitäten,
- erleben gemeinsam gleiche einschneidende Lebensereignisse, wie z.B. den Eintritt in die Krippe oder den Übergang von der Kita in die Schule,
-
haben in diesen Institutionen einen gleichen sozialen Status und sind relativ gleichberechtigt.
Man könnte Peers also als »Ebenbürtige« und »Gleichgesinnte« bezeichnen, wohingegen zwischen Kindern und Erwachsenen ein klares Machtgefälle besteht1. Aus sozio-emotionaler Sicht kann daher der Austausch mit seinen Peers für ein sich sprachlich entwickelndes Kind besonders motivierend sein.
Im Kontext frühkindlicher Bildungs- und Betreuungseinrichtungen finden Peer-Interaktionen nicht losgelöst von, sondern eingebettet in größere Gruppenstrukturen statt. Zum einen betrifft dies natürlich die Stammgruppe, wobei insbesondere von Kindern eigenständig gebildete Kleingruppen und die dort stattfindende Interaktion und Kommunikation ein hohes Entwicklungspotenzial aufweisen2. Zwar sind diese Gruppen in der frühen Kindheit noch von hoher Dynamik geprägt, doch mit ansteigendem Alter und Erfahrungen steigt auch die Aufmerksamkeit, die Peers zugeteilt wird, sowie die Qualität der Interaktion.
Sind Kindergruppen bei Kindern im Krippenalter häufig noch instabil, wird das Spiel mit den Peers nach dem dritten Lebensjahr immer wichtiger. Der Kindertageseinrichtung kommt dabei eine wichtige Rolle zu, denn immer weniger Kinder wachsen mit mehreren Geschwistern oder vielen Kindern in der Nachbarschaft auf. Die Kita wird somit zum primären Ort für Peer-Interaktionen3.
Peers gestalten ihre Sprachumwelt
Das Lernpotenzial in Kindergruppen wurde lange unterschätzt und Kinder als hauptsächlich passive TeilnehmerInnen in einer Umwelt, die durch Erwachsene geprägt ist, gesehen. Nach und nach wurde die Peergroup in den Blick der frühkindlichen Bildungs- und Entwicklungsforschung genommen und inzwischen ist gut belegt, dass die sprachliche Umwelt von Kitakindern – neben der Interaktion mit frühpädagogischen Fachkräften – entscheidend durch die Interaktion mit Peers geprägt ist.
Um den kindlichen Spracherwerb optimal zu unterstützen, muss die Umwelt
- ein variantenreiches Sprachangebot,
- vielfältige Möglichkeiten, um Sprachfähigkeiten anzuwenden und
-
Feedback zum kindlichen Sprachgebrauch bieten.
Dabei ist die emotionale Qualität der Interaktionen besonders entscheidend.
In Peer-Interaktionen ist der Zugang und die Aufrechterhaltung hauptsächlich über das Medium Sprache gesteuert und es finden zahlreiche emotional verankerte sprachliche Aushandlungs- und Ko-Konstruktionsprozesse statt4. Der sprachliche Wissenserwerb wird hier selbstorganisiert und auf Augenhöhe ausgehandelt. Im Symbolspiel werden beispielsweise vergangene Situationen nachgestellt oder fiktive Bedeutungen und Abläufe losgelöst von der realen Situation konstruiert – und das hauptsächlich durch den kreativen Einsatz von Sprache5. Auch Konflikte, die aufgrund der symmetrischen Machtverhältnisse unter Kindern häufig auftreten, bedürfen oft einer sprachlichen Bearbeitung.
Insgesamt sind Peer-Interaktionen weniger von optimiertem sprachlichen Input geprägt, als von intrinsisch motivierten, emotional regulierten Konstruktionsprozessen zwischen den Kindern. Das Spielen und Ausprobieren mit Sprache macht nicht nur Spaß, sondern bietet Kindern die wichtige Möglichkeit, ihr sprachliches Wissen anzuwenden und mit Hilfe ihrer Peers zu bestätigen oder zu korrigieren. Leichte Entwicklungsunterschiede, die natürlich auftreten, spiegeln sich in sprachlichen Modellen wider und können allgemein die Emergenz »richtiger« sprachlicher Konstruktionen unterstützen. Cekaite and Björk-Willén6 beobachteten beispielsweise die sprachlichen Interaktionen von drei- bis fünfjährigen mehrsprachigen Kindern und ihren Peers im Freispiel. Die Kinder korrigierten sich regelmäßig gegenseitig in ihrer Wortwahl und Aussprache und halfen sich bei der Suche nach korrekten Wörtern.
1 von Salisch M. (2000): Zum Einfluss von Gleichaltrigen (Peers) und Freunden auf die Persönlichkeitsentwicklung. In: Amelang M. (Hrsg.). Determinanten individueller Unterschiede. Vol. 4. Göttingen, S. 345-405
2 Brandes H. (2008): Selbstbildung in Kindergruppen. Die Konstruktion sozialer Beziehungen. München, Basel
3 Kernan M., Singer E., Swinnen R. (2011): Introduction. In: Kernan M., Singer E, (Hrsg.). Peer Relationships in Early Childhood. Education and Care. New York, London, S. 1-14
4 z.B. Licandro U., Lüdtke U. M. (2012): »With a little help from my friends …« Peers in Sprachförderung und Sprachtherapie mit mehrsprachigen Kindern. In: L.O.G.O.S. Interdisziplinär, 4, S. 288-295; Lüdtke U. M. (2010): Relationale Didaktik in Sprach-Pädagogik und Sprach-Therapie: Historische Einbettung und aktuelle Forschung. In: MitSprache, 1, S. 21-46
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 08-09/16 lesen.