Ein generationenübergreifendes Projekt
Im Mittelpunkt des Projektes standen Dinge. Sie wurden verloren oder gefunden, gezeichnet, beschrieben, gesucht, gedreht, ausgestellt und erinnert. Und viele von ihnen wurden zum Leben erweckt. Dabei half Marie-Ulrike Callenius. Sie erzählt uns von einem Projekt mit Kitakindern, Grundschulkindern, Senioren … und ganz vielen Dingen.
Alles begann mit den Kindern aus der Kita »Stadtkinder«. In einem kleinen Pankower Buchladen las die Schauspielerin Hanna Essinger für sie aus der Geschichte »Die Stopfnadel« von Hans-Christian Andersen. Darin sind Dinge die Hauptpersonen, sie machen sich selbstständig und erleben einige Abenteuer. Eine aus heutiger Sicht etwas seltsame Geschichte: Ein Hemdkragen und eine Stopfnadel spielen die Hauptrollen. Deshalb schauten wir gleich danach verschiedene Stopf- und Nähnadeln an und klärten, was ein Hemdkragen zum Anknöpfen ist.
Mit Feuereifer zeichneten die Kinder danach mit dicken Graphitstiften in kleine Skizzenbücher diese Dinge. Spitze Nadeln drehten gefährlich Kreise und hatten im Schlepptau dicke Fäden. Wir haben außerdem auch einen Fingerhut und ein Stopfei angesehen. Auf den Fingern der Kinder begann der Fingerhut lebendig zu werden. Er wanderte von Kinderhand zu Kinderhand – alle wollten damit etwas ausprobieren. So entstanden die ersten kleinen Geschichten.
Im Museum der Dinge
Beim nächsten Projekttag machten wir mit den Kitakindern einen Ausflug ins »Museum der Dinge«. Jedes Kind bekam weiße Handschuhe aus Baumwolle, die Arbeitsbekleidung der Archivare im Museum. Das war ein großer Spaß für alle und eine neue Dimension der Fingerspiele – im weißen Anzug!
Sehr vorsichtig und unter Anleitung der Museumspädagogin durften wir einzelne Dinge aus den Vitrinen genauer untersuchen. Wir schauten Dinge an, von denen viele heute gar nicht mehr im Gebrauch sind. Die Kinder staunten über altertümliche Serviettenhalter, Butterfässchen, Kästchen zum Aufbewahren von Salz und Soda und über Waschbretter. Es wurde gerätselt und überlegt, erklärt und ausgedacht, was man wohl damit anfangen könnte! »Mach mal vor, wie du dir das denkst!« Die Kinder entwickelten fantasievoll völlig neue Funktionen für diese Dinge und Geräte. Ein wahrer Expertenkreis der Erfinder bildete sich. Die Kinder demonstrierten die Funktionen mit Erklärungen und auch pantomimisch, sie fachten sich gegenseitig an und manches kleine Ding wurde eine große Maschine.
Zuvor hatten wir mit der Museumspädagogin einige Sachen ausgesucht, die nun auf einem Tisch bereit lagen. Von ihnen untersuchten die Kinder Länge und Gewicht. Als Maßstab dienten Vergleiche: Wie viele Finger lang ist das Ding? Wie viele Eurostücke ist es schwer? Wer kann das Material bestimmen? Holz, Glas, Stein, Metall – Ton? Auch hier wurden Vergleiche herangezogen: stabil wie ein Holzbrett, zerbrechlich wie ein Glas, hart wie Pflasterstein usw. Das sonderbare harte schwarze Zeug mit dem Namen Bakelit ist eine Urgroßmutter von Plastik. Fasziniert hörten die Kinder, wie dieser neue Werkstoff erfunden wurde und dass es ihn noch gar nicht so lange gibt. Gemeinsam fielen uns viele Sachen ein, die mit ihm zu tun haben, aber auch die Probleme damit. Einzelne Kinder hatten schon gehört, dass sich in den Meeren viele Plastiktüten sammeln und die Tier- und Pflanzenwelt stören.
Außerdem hatte das Museum uns Dinge herausgesucht, von denen auch die Wissenschaftler und Forscher nicht wussten, wofür sie gebaut wurden. Vielleicht konnten die Kinder mit ihren Ideen hier helfen! Die Kinder zeichneten die Dinge, die ihnen besonders gefielen, in ihre Skizzenbücher. Auf die Bücher hatten wir zusammen mit jedem Kind seinen Namen mit Buchstaben gestempelt, so konnten sie ihre Hefte immer wieder erkennen. Mit viel Fantasie dachten sie sich Namen aus: »Hochhüpfer für Vögel«, »Gemüsebreimacher«, »etwas zum Anmalen, mit dem man später Locken bunt machen kann«, … und erzählten dann ausführlich, wie diese Dinge zu benutzen sein könnten. Im Laufe des Projektes konnten die Kinder die Namen und ihre Geschichten mit einem Soundrecorder aufnehmen. Nun kann man sie auf der Website anhören und dazu die Zeichnungen ansehen.
Erinnerungen an alte Dinge
Einen ähnlichen Projekttag machten wir mit den Schulkindern der Freien Grundschule Pfefferwerk. Später kamen Seniorinnen und Senioren der Begegnungsstätte »Herbstlaube« in das Museum. Auch sie durften Gegenstände mit weißen Handschuhen anfassen und untersuchen. Sie erinnerten sich mit Anekdoten und kleinen Erzählungen, wann sie die Sachen schon einmal gesehen oder wozu sie sie gebraucht hatten. Auch hier gab es einen intensiven Austausch über den Nutzen und die Funktionen der Dinge. Die Erinnerungen, wie praktisch oder üblich etwas war, gingen weit auseinander und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen in angeregte Gespräche darüber.
Auch sie machten Skizzen und erfanden neue Begriffe für die Dinge. Es entstanden zahlreiche Zeichnungen und Worterfindungen, die wir in einem weiteren Workshop aufnahmen. Wieder wurde nachgeforscht, ob die SeniorInnen vielleicht Hinweise zu den unbekannten Dingen aus dem Museumsarchiv geben können. »Ich hab das schon mal gesehen und weiß nicht mehr genau, wie man es benutzt«, war eine der Antworten auf unsere Fragen. Aber auch ganz kontroverse Bestimmungen wurden einzelnen Dingen zugedacht: vom Massagegerät bis zum Musikinstrument kam das gleiche Ding in der Erinnerung vor.
Zwischen den Workshop-Tagen gab es Begegnungen der verschiedenen Gruppen und die Erfahrungen und Erzählungen wurden ausgetauscht. Wir brachten die Stempelbuchstaben mit in die Begegnungsstätte für SeniorInnen und begeistert stempelten auch sie ihre Namen auf ihre eignen Skizzenhefte.
Bei einem weiteren Treffen der Gruppen zeigten die Senioren den Kindern die Ausstellung »Zimmermeister Brunzel baut ein Mietshaus – Bauen und Wohnen in Prenzlauer Berg um 1900«, an der die SeniorInnenbegegnungsstätte »Herbstlaube« an Konzeption und Realisation maßgeblich mitgearbeitet hatte. Hier gab es wieder eine Vielzahl historischer Dinge, die die Kinder sich interessiert und neugierig erklären ließen. Skizzen der Kinder entstanden auch hier.
Marie-Ulrike Callenius ist Künstlerin und Regisseurin, sie mag Farben und Filme. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet sie mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen im Bereich kulturelle Bildung. Im Papierkino erfindet, plant und macht sie Projekte in Zusammenarbeit mit verschiedenen Künstlerinnen.
Kontakt
www.papierkino.de
Kunst kann Brücken bauen – auch über Sprach- und Kulturgräben hinweg. Diesen Eindruck vermittelt die kreative Homepage Papierkino.de. Auf ihr finden sich viele Inspirationen zu künstlerischen Projekten mit Kita- und Grundschulkindern. Jedes Wort und jedes Bild darf angeklickt werden, so entdeckt man, dass sich auf den einzelnen Seiten noch mehr verbirgt
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 06-07/16 lesen.