Zu Besuch bei einem Spielzeugdesigner
Spielzeug soll herausfordern, und es soll Spaß machen, sich mit ihm zu beschäftigen. Das ist die Maxime des Spielzeugdesigners Matthias Richter, der anspruchsvolle Spielsachen vor allem für die Kita entwirft. Barbara Leitner besuchte ihn in seiner Werkstatt bei Jena.
Kennengelernt hatte ich Matthias Richter im thüringischen Bad Blankenburg, bei einer Tagung zum 175. Jubiläum des Kindergartens. Begeistert äußerte er sich dort über die Spielgaben von Friedrich Fröbel, dem Erfinder des Kindergartens: »Die ziehen an und machen neugierig, damit zu spielen.« Fröbel hatte seine »Gaben« – Ball, Kugel, Walze, Würfel – den Grundformen des Lebens abgeschaut und genau das fasziniert den heutigen Designer an den akkurat gefertigten originalen Stücken in den Vitrinen des Museums. »Man merkt: Der Würfel ist nicht nur ein oberflächlicher Beschäftigungsgegenstand. Er geht auch in die Tiefe, ins Mathematisch-Geometrische. Es gibt einiges zu entdecken, was man auf den ersten Blick nicht vermutet.«
An den Würfeln sind kleinen Haken, die Fröbel in Handarbeit sehr genau angebracht haben muss. Daran kann man einen Faden befestigten. Wenn man die Würfel damit bewegt, sieht man, dass die Formen auch ein Innenleben haben. Erst dreht sich der Würfel ein, dann zurück und dabei entstehen erstaunliche Rotationsbilder. »Darauf wollte Fröbel hinweisen: Wenn man die Dinge untersucht und mit ihnen spielt, entdeckt man neue Dinge, die vorher nicht sichtbar sind.« Das ist es, was den Mann mit den lebendigen blauen Augen interessiert: In die Tiefe der Dinge zu schauen und neue Erfahrungen zu machen. Das will er für sich erleben und das will er mit seinem Spielzeug Kindern ermöglichen.
Impulse für neugierige Gehirne
Über einen Umweg wurde Matthias Richter Designer. Aufgewachsen ist der 64-Jährige in Isserstedt bei Jena. Dort hat er heute in seinem Elternhaus Büro und Werkstatt. Seine Eltern schenkten ihm als Kind die Kellner-Steckfiguren um Meister Tulpe aus Holz und Plastik, noch heute ein Exportschlager aus Thüringen. Ansonsten spielte und beschäftigte er sich viel in der Natur, im Garten und in der Pelztierfarm seines Großvaters.
Woher hat er das Pädagogische, den Wunsch, Kinder bei der Entfaltung ihrer Talente zu unterstützen? »Von meinem Vater«, erzählt er in seiner bedachten Art. Der war Lehrer, auch seiner, in Deutsch und Geografie. Wie der Vater wurde der Sohn Lehrer, er für Mathematik und Physik. Nach fünf Jahren stieg er aber aus und wurde Holzspielzeugmachermeister. In der DDR war er Alleinhersteller für therapeutische Spielmittel für Behinderte und entwarf u.a. für die Blinden- und Sehbehindertenschule in Weimar einen, einem Puzzle ähnlichen Stadtplan mit den wichtigen Orten zum Anfassen und Zusammenfügen. Nach der Wende, mit Mitte 30, nutzte der neugierige Mann die Chance zum Weiterlernen und studierte in der neugegründeten Bauhaus-Universität Weimar Produktdesign.
Auf der Suche nach Auftraggebern fand er bald einen Hersteller für Kindergartenbedarf. Für ihn entwarf er ein Streichelspiel zur Förderung der taktilen Wahrnehmung und entdeckte dabei eine für ihn besonders reizvolle Zielgruppe: die Drei- bis Siebenjährigen. Er argumentiert mit den Worten des Hirnforschers Gerald Hüther, wenn er von den offenen Fenstern zur Welt spricht und davon, dass Menschen niemals mehr in diesem Tempo, so sinnlich und so intensiv lernen, wie in der frühen Kindheit. Das reizt Matthias Richter: Für Kinder Spielmittel zu entwerfen, mit denen sie experimentieren und etwas erproben und dabei die unendlichen Potenziale zur Informationsverarbeitung in ihrem Gehirn nutzen.
Fantasie auf dem Prüfstand
Matthias Richter führt über die drei Etagen seines Refugiums in Isserstedt. Eigentlich sitzt er gerade an seinem Computer im Büro unterm Dach und schreibt die Anleitung für ein neues Geschicklichkeitsspiel, das bald in die Serienfertigung geht. »Auch das gehört zu meiner Arbeit dazu: Einen Text zu formulieren, der neugierig macht und das Wesentliche erklärt.« In seiner Werkstatt im Keller steckt Matthias Richter nun zum Vorführen die Teile des Spiels zusammen, die er Tage zuvor sägte, schleifte und bohrte. Durch drei nebeneinander stehende und miteinander verbundene, ca. 30 cm hohe Türme werden die Kinder aufgefordert, Kugeln Loch für Loch nach oben zu bewegen und sie, dort angelangt, an einen Magneten anklicken zu lassen. Fingerfertigkeit braucht man dafür und man muss aufmerksam sein. Wie kommt man auf solche Ideen?
»Kennen Sie das Möbiusband?«, fragt der offene, freundliche Mann zurück und klebt die Enden eines Papierstreifens verdreht aneinander – ein Möbiusband. Bei der Schleife, die dadurch entstanden ist, gibt es kein Oben und Unten, kein Innen und Außen. Der Mathematiker Möbius erfand diese Form im 19. Jahrhundert. Die Linie, die Matthias Richter nun darauf zeichnet, ziert bald das gesamte Band. Für den kreativen Designer ist dies sehr relevant. »Wenn wir über Fantasie reden, bleiben wir oft im Vagen. Anders ist es, wenn ich frage, was passiert, wenn ich das Band in der Mitte durchschneide. Was ist Ihre Vorstellung? Das lässt sich leicht mit dem Ergebnis überprüfen.«
So sieht Matthias Richter sich als Designer. Hat er eine Idee für ein neues Spielzeug, muss er sich sowohl den Gegenstand als auch das Kind, das es nutzen soll, vorstellen. Wird es dabei Spaß haben? Und was entwickelt sich, wenn es damit spielt? Das probiert er selbst aus.
Mehrmals zitiert er eine asiatische Weisheit: »Das Wort ›Hund‹ beißt nicht.« Vielleicht ein Koan eines Zen-Meisters, eine Rätselfrage, um Schüler zur Konzentration und zu tieferem Denken zu veranlassen. Für den Thüringer ist damit eine ganze Philosophie verbunden. »Als Menschen haben wir viele Vorstellungen im Kopf. Die Realität weicht aber davon ab und ist immer komplexer als unser Denken.« Er hält eine Kugel zum Fallen bereit in der Hand und fragt mich, was nun geschehen wird. Ich bin nicht sicher, ob sie springen, tönen und wohin sie rollen wird. »Als Designer beschäftige ich mich direkt mit den Dingen und den Materialien. Das geht nicht am Schreibtisch.« Also entwirft er immer zunächst ein Modell, oft noch weit entfernt von einem Spielzeug. Das probieren er und seine KollegInnen aus: Macht es Freude, damit zu spielen, und regt es dazu an, weiter zu denken? Wichtige Unterstützer in diesem Entwicklungsprozess sind für den fünffachen Großvater auch seine Enkel, mit denen er mit den Modellen spielt. Da bekommt der Opa beispielsweise zu hören: »Der Griff ist zu dick, den kann man nicht gut bewegen!«
»Als Erwachsener ist man geprägt. Man nimmt die Dinge hin, weil man denkt, so wurde es schon immer gemacht. Die Kinder sind offener. Sie haben viele Handgriffe noch nie getan, überprüfen die tatsächliche Funktionalität, sind dadurch kritischer und haben mehr Spielraum für Ideen.«
In Regalen in dem dreigeschossigen Werkstatt-Büro-Haus stehen einige der Kreationen des Tüftlers: »Auf die Pfähle fertig los« oder »Fischstäbchen«, Würfelspiele, bei denen es um Geschicklichkeit, Zählen und Farben erkennen geht. Ein Tandem-Sand-Zeichner, wie ein Zen-Garten im Tischformat, bei dem die Kinder gleichzeitig mit beiden Händen unter dem Tisch zwei Hebel bewegen und dadurch im Sand auf dem Tisch ornamentale Muster fabrizieren können. Eine gute Übung zur Integration der beiden Hirnhälften. Und es gibt auch Spiele für die Lernwerkstatt, von Matthias Richter das Set »Mechaniko«. Es erinnert an den ehemaligen Mathe-Physik-Lehrer und macht zugleich Lust, die Dinge anzufassen und auszuprobieren: Greifen die Räder ineinander, wenn ich daran drehe, und was bewegt sich dann?
Kontakt
Obwohl die Ausstellung in Erfurt inzwischen beendet ist, sind einige Spielmittel von Matthias Richter und seinem Team noch auf der Seite der Ausstellung »Spiele(n) neu denken« zu entdecken, unter anderem Löffelgold und der Geräuschhocker HockUP.
www.spielen-neu-denken.de
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 06-07/16 lesen.